Keine Hoffnung auf weniger Stau

Unter dem Etikett "Elbbrücke" soll in der Stadt eine 7 km lange Schnellstraße als Nordostpassage gebaut werden

von Hans-Henning von Winning,

Sächsische Zeitung, August 1996

Wer ständig im oder am Stau steht, mag leicht der Illusion erlegen: noch eine schöne, schnelle Straße, und schon haben alle die Freiheit, die der Tachometer verspricht. Bessere Einsicht aber sagt, was ein Teil der Wissenschaft längst weiß: Das Auto ist so phantastisch, daß Reserven im Straßennetz immer bis an die Grenze des Staus aufgefüllt werden. Das aber heißt: Mehr Straßen gleich mehr Stau; keine Hoffnung auf Entlastung oder Umfahrung; keine Verbesserung für die Wirtschaft durch zusätzlichen Straßenbau (sieht man einmal von der Auto- und Straßenwirtschaft ab).

Die Apologeten der Waldschlößchenbrücke erliegen jener Illusion - getreu den Theorien der autogerechten Stadt. Folgerichtig suchen sie eine Stelle, an der nichts verknüpft wird, eine Trasse, an der kaum Stadt liegt. Folgerichtig muß die Straße lang und schnell sein, mit Radien und Standards für schnellen Autoverkehr. Als Verkehrsschneise, die einstweilen vom "Großen Garten" bis zur "Königsbrücker Straße" reicht;die aber im Grunde im Norden nach Berlin, im Süden nach Prag weitergeführt werden muß. Jeweils der halbe Weg bis zu den Autobahnen wäre schon geschafft- und das alles unter der sympathietragenden Bezeichnung "Neue Brücke". Die stadtnahe Südautobahn war logisch: Eine Fernverbindung, die gleichzeitig hohen Nutzen für die Stadt haben sollte. Völlig verfehlt ist es, etwas ähnliches nochmal im Nordosten zu bauen.

Denn es entsteht nicht nur kein Nutzen, sondern baulicher Schaden. Das sind neben den sattsam bekannten ökologischen Problemen zunächst einmal die Kosten. Daß ein finanziell angeschlagenes Gemeinwesen derart unkritisch weiteren Autokonsum subventioniert, geht an die Grenzen des Erträglichen, angesichts der gewaltigen Bau- und Betriebskosten, die direkt oder indirekt den Spielraum der Stadt bei anderen notwendigen Vorhaben erneut einschränkt. Schwerer aber wiegt, daß die Stadt wieder ein Stück auseinanderrückt, daß die Bürger erneut ein wenig mehr gezwungen werden, erhebliche Teile ihres Einkommens und ihrer verfügbaren Zeit gänzlich unproduktiv mit dem Steuern von Autos zu verschwenden, weil die Gemeinschaft die Vorleistungen nach bester sozialistischer Manier schon bezahlt hat. Schnellstraßen als staatlich verordneter Luxuskonsum sind das, was eine schwer kämpfende Wirtschaft am wenigsten brauchen kann.

ber es gibt Alternativen. Brücken an Standorten, wo sie dichte, urbane Stadtteile auf kurzem Wege verknüpfen, schaffen wirklich neue Mobilität, neue Auswahlmöglichkeiten für die Bürger. Das wird am deutlichsten beim Thomas-Müntzer-Platz, kann aber auch bei entsprechenden Stadtentwicklungsprojekten an Erfurter Straße/ Ostragehege und auch im Umfeld der 3. Marienbrücke wirksam werden. Selbst die Brückenköpfe der Waldschlößchenbrücke könnten zu höchstverdichteten Baugebieten entwickelt werden, wenn nicht Brückenlänge und Landschaftsraum hier dagegensprächen.

Immer aber müßten Straßen als städtische Hauptverkehrsstraßen, als Boulevards konzipiert werden. Angebaut und als öffentlicher Raum, mit geringsten Verkehrskomfortstandards, mit Alleen und städtebaulich orientierter Gestaltung, sparsamsten Fahrflächen und ohne den hoffnungslosen Versuch, die Überlastungen zu vermeiden und dabei nur in andere Stadtteile zu verlagern. Deshalb muß die Grenze der Überlastung eingeplant werden - also langsame Fahrweise und höchstmöglicher Mengenwirkungsgrad. (Dies ist, nebenbei bemerkt, der Zustand, den die Verkehrsteilnehmer immer in Kauf nehmen, und den die Richtlinienplaner als "nicht funktionierend" bezeichnen.) Dazu gehören konsequenter, lückenloser Straßenbahnvorrang; meist durch intelligente Steuerungstechnik, und nur in Staubereichen mit eigenem Gleiskörper. Dazu gehören private Tiefgaragenbauten ebenso wie marktwirtschaftliche Verteilungsmechanismen des knappen Parkraums.

Die Bauleitplanung in Dresden verfolgt, besonders in den inneren Stadtbereichen, eine konsequente Reurbanisierung: Dichte und Mischung als Garanten ökonomischer und ökologischer Zukunftsfähigkeit. Die dritte Säule der Urbanität, nämlich die Öffentlichkeit von Straßen und Straßennetzen, droht wieder einmal einem Rückfall in die Autoideologie der Sechziger Jahre zum Opfer zu fallen.