Leitbild Mobilität: Rechtes Maß für Raum und Zeit -

Einige Vorschläge für weniger und sanfteren Autoverkehr

Das anspruchsvolle Thema könnte dazu verführen, philosophische, ja, esoterische Gedanken auszubreiten. Statt dessen sollen höchst konkrete Vorschläge gemacht werden, die in zwei Jahren politisch beschlossen, und in fünf Jahren wirksam werden können. Sie stellen keinen Querschnitt, sondern nur einen Ausschnitt dar, wie aus der Maßlosigkeit der derzeitigen Mobilität wieder rechtes Maß werden kann:

  • durch weniger Autoverkehr,
  • durch sanfteren Autoverkehr.

Wenn es dem Autobenutzer weniger leicht gemacht wird als bisher, können die Umweltschäden des Autoverkehrs (s. Abb. 2) auf ein vertretbares Maß gesenkt werden. Und nur so kann sich der größtenteils staatswirtschaftlich organisierte Verkehrsmarkt auf ein ökonomisch sinnvolles Maß einpendeln - ohne verordnete Verschwendung für Mobilität, mit freien Akteuren in marktwirtschaftlicher Ordnung. Und mit ordnungrechtlichen Spielregeln, die marktgerechte Knappheiten nicht wegpuffern, sondern nur da Konkurrenzen verhindern, wo sie unproduktiv und schädlich im Gesamtsystem sind.

Verkehrsmanagement dient dabei nicht dazu, Fahrpläne und Slots zu verteilen, und dann nach Fahrplan zu rasen; Management koordiniert Stetigkeit und Zuverlässigkeit des Autoverkehrs. Wir wollen doch eher freien Transport und begrenzte Dynamik - und nicht freie Dynamik bei eingeschränkter Transportfreiheit.

Verkehrsvermeidung mit Gewinn

Das rapide Verkehrswachstum der Vergangenheit ist geradezu der Beweis dafür, daß erhebliche Veränderungen - und damit auch Verringerungen des Verkehrs möglich sind. Wenn wir über ein Drittel weniger Verkehr reden, reden wir über den Stand von 1985. Sind wir heute um die Hälfte reicher, haben wir um die Hälfte Zeit gewonnen, hat sich unsere Lebensqualität um die Hälfte erhöht seit 1985 ?

Unzweifelhaft benötigen Differenzierung der Ansprüche und Arbeitsteiligkeit erhebliche Transporte von Gütern und Personen. Aber vermeidbar ist der Anteil, der uns längst mehr Kosten und Schäden als Nützen bringt. Verkehrsvermeidung und -Verlagerung sind technisch möglich und ökonomisch und ökologisch notwendig.

Die politische Machbarkeit erfordert schlüssige und verständliche Regelungen. Wie bei jeder Politik müssen die Härten für die Verlierer gepuffert werden, müssen die Gewinne offenbar werden und den Gewinnern zugute kommen, müssen insgesamt mehr Gewinne als Verluste verbuchbar sein.

Daß dabei deutlich weniger Verkehr als heute entstehen wird, mag jeder selbst abschätzen. Man stelle sich vor, daß alle Verkehrskosten mit der Verkehrsnutzung unmittelbar zu bezahlen wären. Zum Beispiel würden die 8 Mrd. DM/Jahr Personenschäden "schuldiger" Unfallopfer nicht von den Krankenkassen bezahlt, sondern über eine erhöhte Autohaftpflicht abgerechnet. Oder die 60 Mrd. DM p.a. Zinsen für die Bundesschulden, mit denen das Autobahnnetz gebaut wurde, würden nicht dem Steuerzahler, sondern dem Benzinkäufer angerechnet. Diese und viele andere, ganz normale Kostenrechnungen führten dazu, daß der öffentliche Verkehr etwa doppelt, der Autoverkehr etwa fünffach so teuer wie heute werden müßte. Alle hätten dann entsprechend durch niedrigere Steuern, billigere Autos, weniger Verbrauch, geringere Krankenkassenbeiträge, viel mehr Geld übrig. Aber würden sie es in gleichem Maß für Verkehr ausgeben?

50 % Schadensminderung durch Tempolimit, Beschleunigungslimit und Überholverbot

Unabhängig davon, wieweit Minderungsstrategien greifen, und zusätzlich zu allen sonstigen Verbrauchsminderungstechniken, bleibt ein gewaltiges, ungenutztes Potential im Pkw-Verkehr zu diskutieren: der Wegfall aller Dynamiken, die für den Transport unwichtig sind, die Verstetigung aller Fahr- und Betriebsabläufe.

Stellen Sie sich das Autofahren einmal so vor: Alle halten die vorgeschriebenen Geschwindigkeiten (30, 50, 80, ...) auf Knopfdruck ein. Niemand überholt, niemand dreht den Motor unnötig hoch, niemand beschleunigt mehr als nötig - all das ist technisch verhindert und außerdem verboten. Alle fahren sanft und gleichmäßig hintereinander her - ohne Hektik und Konkurrenz. Im Schub und im stop-and-go-Verkehr schalten die Motoren ohnehin nur gelegentlich an zum Aufladen eines Kurzzeitenergiespeichers. Ansonsten bliebe die Vielfalt der Modellpaletten wie bisher: Größe und Komfort, Image und Aussehen, Zuladung und Reichweite könnten jede Blüte treiben.

Die erste Stufe wäre neben allgemeinen Tempolimits und Überholverbot nur ein simpler Elektronikeingriff; serienfähig in einem Jahr, für neuere Fahrzeuge nachrüstbar und schon wirksam, wenn jedes fünfte Fahrzeug nicht mehr übermäßig beschleunigt: bis 2005 wären damit rund 25 % Energieeinsparung im Pkw-Verkehr möglich.

Die zweite Stufe umfaßte stufenlose Getriebe, Kurzzeitspeicher (Schwungrad-, Elektro-, Magnet- oder Druckluftspeicher) Motor-Aus-Mechaniken und modifizierte Motoren. Serienfähige Techniken brauchen aber etwa fünf Jahre bis zur Serienreife. Bis 2005 wäre die Flotte wohl nur zu 20 % durchdrungen; bis 2010 wären aber weiterhin erhebliche Fortschritte erwartbar.

Entscheidend aber wäre die Ankündigung einer zusätzlichen dritten Stufe: generelles und absolutes Tempolimit, technisch plombiert, ab 1998 bei etwa 120 km/h, mit einer Reihe begleitender Umweltvorschriften. Dann käme ab etwa 2002 eine völlig revolutionäre Automodellpalette auf den Markt. Denn derzeit ist die Hochgeschwindigkeit wesentliches Kriterium für die gesamte Konstruktion, für Stabilität und Gewicht fast aller Fahrzeugteile. Und das muß (wegen der Serienfertigung) auch vom schwächsten Modell jeder Baureihe ständig als Ballast mitgeschleppt werden - auch in der Stadt, wenn im Durchschnitt 4 kW und maximal 8 kW (also ca. 5 -10 PS) gebraucht werden - also kaum ein Zehntel dessen, was die Motoren könnten. Wenn wir uns von diesem Ballast befreien, würden Reifen und Getriebe, Scheiben und Motoren, kurz, praktisch das ganze Auto um die Hälfte leichter - und zwar zusätzlich zu den Gewichtseinsparungen, die heute schon diskutiert werden. Die Größe als Transport- und Sicherheitsvorteil sollte erhalten bleiben. Nur die Gewichtsaufrüstung - von manchen Autobesitzern als Sicherheitsargument mißbraucht - würde als Gefahrenabwälzung und Energiefresser durch geeignete Spielregeln eingeschränkt sein müssen.

Alle Transportqualitäten blieben praktisch unverändert; durchschnittlich wären alle genauso schnell am Ziel wie heute. Alle ökologischen und sonstigen Schäden würden in etwa halbiert - und zwar zusätzlich zu dem, was mit Kat und Alubauweise, was mit Stoffkennzeichnung und Verbrennungsoptimierung ohnehin möglich und überfällig ist (s. Abb. 3).

Ein Wort zum generellen Überholverbot - zwingt uns das nicht, auf ewig hinter dem stinkenden Diesel-Lkw zu bleiben? Das Gegenteil ist der Fall: Heute fahren alle im engen Pulk hinter dem Diesel. Abstand provoziert sofortiges Überholt-Werden; und nach dem Überholen wird mit 140 km/h zum nächsten Pulk aufgeschlossen. Der Zeitgewinn ist minimal, die Gefahren sind erheblich, und alle fahren fast immer dicht hinter stinkenden Diesel-Lkw. Anders bei generellem Überholverbot: Jetzt ist ein luftiger 300 m-Abstand gelassen möglich - denn es gilt ja das Verbot, überholt zu werden, und alle sind befreit - vom Diesel-Abgas und vom Konkurrenz-Streß, der kaum einem einzelnen, gewiß nicht in der Summe Vorteile gebracht hat. Nebenbei bemerkt ist das ein gutes Beispiel, wie die Perspektive aus dem Pkw-Cockpit es schwer macht, verkehrliche Zusammenhänge unverfälscht zu analysieren!

Einige Fahrer würden den Spaß am Beschleunigen, an den kleinen Siegen im Verkehr vermissen. Aber ganz viele Fahrer würden aufatmen, daß zivilisierte Spielregeln ihnen den ständigen Streß abnehmen, sich in einer völlig unfruchtbaren Konkurrenz behaupten zu müssen. Noch dazu weil ihnen die Abrüstung in Leistung und Gewicht eine wunderbare Friedensdividende beschert: die neuen Autos dürften mindestens um ein Drittel billiger sein als die heutigen.

Bis zum Jahr 2015 wäre fast die gesamte Pkw-Flotte ausgetauscht. In einem ungeheuren technischen Innovationsschub würden völlig neue Konstruktionen entstehen: Alu-Gitterrohrrahmen mit Kunststoffpanels; stufenlose Leistungsverzweigungsgetriebe mit Schwungrad; Einpunktschwingkolbenmotoren als Direktgenerator mit Drehstromachsmotoren - kurz, der Wettlauf der Ingenieurphantasie würde nicht mehr der Illusion des einsamen Rennfahrers, sondern der Realität des Weltautoverkehrs folgen, nämlich dem Massenverkehr im überfüllten Ballungsraum.

Und dies ist auch der Weltmarkt der Zukunft. Wer bei diesem Wettlauf die Nase vorn hat, macht zwar weniger Umsatz beim Einzelfahrzeug - aber er wird den technischen Vorsprung für weitere fünfzig Jahre Weltmarktführung haben. Dagegen wird die Hochgeschwindigkeitstechnik dem Rolls-Royce-Effekt zum Opfer fallen: bewundertes Symbol einer fernen Vergangenheit in den Garagen einiger Sammler, gleichzeitig von absoluter wirtschaftlicher Bedeutungslosigkeit. Und deswegen sind sofortige Tempolimits, generelles Überholverbot und rigide Umweltstandards nicht ökologische Spielwiese und Luxushobby, sondern eine der letzten Chancen, die Arbeitsplätze der deutschen Autoindustrie im freien Wettbewerb zu erhalten. Sonst geht das nur durch nationale und internationale Zwangsmaßnahmen und massives Outsourcing noch eine kleine Weile. Wir sind dem schon bedenklich nahe; politische Entscheidungen sind überfällig.




Manuskript

Kassel Juni 1996