Für eine Liberalisierung des rechtlichen Rahmens -

Rechtsänderungen als Instrumente für eine ökonomische und ökologische Verkehrsreform

Angesichts der scheinbaren Starrheit des gesetzlichen Regelwerkes und der verständlichen Schwierigkeiten mit und Hemmungen vor öko-diktatorischen Maßnahmen verlagert sich die Realisierungsdebatte von Nachhaltigkeitskonzepten immer wieder auf "soft policies", Bewußtseinsbildung, Mediation und die Propagierung der Lust an "neuen" Lebenssälen. Diese Debatte ist richtig und unverzichtbar.

Ebenso notwendig ist es aber, die Möglichkeiten von Rechtsänderungen zu diskutieren: Zum einen müssen neue rechtliche Regelungen durchaus nicht repressiv sein, sondern können - im Sinne von Spielregeln - die Handlungsoptionen der Bürger erweitern. Zweitens werden Aufhebungen von derzeitigen Handlungs"zwängen" notwendig. Denn tatsächlich veranlaßt uns heute ein repressives Korsett von Ordnungs- und Fiskalpolitik ständig zu zuviel Verkehr, zu viel Autoverkehr, zu schnellem Autoverkehr und zu überhöhtem Verkehrskosten- und -zeitaufwand. Drittens ist das Nachhaltigkeitskonzept im Verkehr noch keineswegs so eindeutig, daß die notwendigen rechtlichen Änderungen ausdiskutiert wären. Schließlich ist viertens das Arbeitsplatzargument der an Nachhaltigkeit im Verkehr nicht interessierten Gruppen sowohl auf tönernen Füßen als auch grundsätzlich bestreitbar - könnte also sehr plötzlich als Mittel politischer Pression ausfallen, so daß Rechtsänderungen plötzlich leicht möglich würden.

In dem Fall sollte der wissenschaftliche und politische Diskurs weiter fortgeschritten sein als heute. Die folgenden Vorschläge sollen hierfür als Diskussionsbeitrag dienen. Sie gehen aus von einem effizienzorientierten Nachhaltigkeitskonzept, das ökonomische und ökologische Zielsetzungen konvergent sieht, sowie von einem Politikansatz, der über komparative Preisvorteile marktwirtschaftlich ökologisches Handeln induziert und nur ausnahmsweise über Ver- und Gebote im Sinne von Spielregeln un- und kontraproduktive Konkurrenzen vermeidet. Natürlich müssen diese Aspekte im Einzelnen ausgefüllt werden.

Die Vorschläge sind nur teilweise neu; sie sind vielfach in anderen Zusammenhängen bereits andiskutiert, bei weitem nicht vollständig, und nicht immer rechtssystematisch geordnet. Ihre Wirkungsintensität, ihre Änderungsresistenz und ihre Verteilungsaspekte (für Kompensationsmaßnahmen) müssen weiter untersucht werden. Trotzdem erscheint die folgende Auflistung wichtig, um insbesondere auch die in der Ökologiediskussion gelegentlich kontroversen Auffassungen offener zu diskutieren.

Rechtsbereich Straße und Verkehr

In den Straßen- und Wegegesetzen sollte unverträgliches Fahren nicht mehr Gemeingebrauch sein. Parken - mindestens mehr als vielleicht 15 bis 30 Minuten - müßte als Sondernutzung definiert werden, damit entsprechende Abgaben erhoben werden können. Flankierend sollte in der StVO das Parken am Straßenrand nicht generell erlaubt, sondern generell verboten werden; ersatzweise und vorläufig wäre eine quartiers- oder stadtweise Teilentwidmung des rechten Straßenrandes zu überlegen. Schießlich müßte die StVO sich der breiten Palette elektronischer Parkgebührenerhebung öffnen - von Debit-Scheiben im Fahrzeug bis hin zu GPS-gestützten Zentralsystemen.

Die wichtigsten StVO-Änderungen wären zunächst gestaffelte Tempolimits (z.B. 30/ 80 / 120); sehr bald müßte generelles Überholverbot sowie eine Vereinheitlichung und Begrenzung der Beschleunigung folgen, da es vor allem um die Neutralisierung der hochschädlichen Dynamikkonkurrenzen geht, die das System derzeit ohne Mobilitätsvorteil verschlechtern und verteuern.

Erheblichen Einfluß hätten Änderungen der Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO). Tempobegrenzer mit kontollierbarem Handbetrieb und standardisierter Beschleunigungsbegrenzung müßten – im Fahrzeug - die StVO stützen. Energie-, Stoff- und Emissionsbilanzen und -Standards sollten in sinnvollen Entwicklungsstufen verschärft werden und zwar entsprechend einem Stand der Technik ohne die Bedingungen hoher Beschleunigung und Extremgeschwindigkeit. Dazu gehört z.B. auch die Null-Emission im Stand und Stau.

Ebenfalls in der StVZO müßte die Gewichtsaufrüstung bei Pkw unterbunden werden, die keinen Sicherheitsgewinn, sondern inflationären gegenseitigen Sicherheitsdiebstahl darstellt. Schließlich ist ökologisch wie ökonomisch die Verringerung der Lkw-Achslasten dringendst überfällig - zu Recht gerät das europäische Konzept "Wenige Räder / Schwere Straßen" auf dem Weltmarkt mehr und mehr ins Abseits.

Rechtsbereich Räumliche Planung

Verdichtung und funktionale Mischung sollten sich auch für Bauherrn und Quartiersnachbarn "lohnen". In Baugesetzbuch, Baunutzungsverordnung und Landesbauordnungen könnte das seinen planungs- und ordnungsrechtlichen Niederschlag finden. Die Festlegung urbaner und suburbaner (Bau-)Gebiete könnte positive Ableitungen für Steuern, Infrastrukturstandards usw. haben. Dabei ist De-Regulierung - z.B. ersatzloser Wegfall der Stellplatzpflicht - ebenso wichtig wie Regulierung (z.B. Mindestdichten, Mischungspflicht). Besonders wichtig und überlagernd mit dem Straßenrecht ist die Kommunalisierung der Hoheit über Verkehrsbauwerke und ihre Standards. Das reicht von einer deutlichen Abstufung der Straßenklassifizierungen über die Aufhebung der Privilegierung nach § 38 BauGB, bis zur Unterstellung der Straßenbaubehörden unter die Städte und Landkreise.

Wesentliche rechtliche Verstärkungen der Stadt-, Regional- und Landesplanung sind eher kritisch zu sehen: Bei (Markt)Transparenz der Entfernungstechniken - im wesentlichen Tansport und Telematik – und Zurechnung ihrer Kosten und Lasten an die jeweiligen Nutzer, dürfte das vorhandene Instrumentarium der räumlichen Planung ausreichen, und das politische Unterlaufen der Nachhaltigkeitsziele aufhören. Bei einem Wettlauf auf Ordnungspolitik abzielender Planerweisheiten dürfte dagegen weder der Gemeinwesenanspruch noch das Geld der räumlichen Planung genügend Durchschlagskraft gegen vordergründige und partikulare Interessen bieten - zumal angesichts der ja durchaus wohlbegründeten Grundsätze von Baufreiheit und Bodenrecht. Wir müssen nicht "Stadt" vorschreiben - wir müssen nur die Vorschriften "Stadt auflösen!" beseitigen.

Rechtsbereich Verwaltung und Finanzierung

Heute unterliegen Bau, Betrieb und Entsorgung von Fahrzeugen, Verkehrsinfrastruktur und Betriebsmitteln einer Fülle von hoheitlichen Zuständigkeiten und Regelungen, die über Ver- und Gebote sowie die Lenkung öffentlicher Gelder höchst einseitig Verkehr, insbesondere Autoverkehr, und hier insbesondere schnellen Autoverkehr fördern. Dadurch wird der Verwaltungsvollzug resistent gegen Änderungen des politischen Willens - kaum merklich für die Bürger und meist verpackt in völlig harmlos erscheinende Gesetze und Erlasse.

Beispiele für Änderungsbedarf sind z.B. die Aufhebung der unserem Steuersystem fremden Zweckbindung der Mineralölsteuer, etwa im Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. Wir binden ja auch nicht die Alkoholsteuer an den Bau von - nein, nicht etwa Entziehungskliniken, sondern - Wirtshäusern und Schanktresen. Überfällig ist die Aufhebung der Beschleunigungsgesetze für Verkehrsvorhaben und die Aufhebung der Bindung der Finanzierung an überzogene Hochgeschwindigkeitsstandards - vor allem, wenn sie unter dem Titel ÖV-Förderung im wesentlichen Straßenbau und ungestörten Autoverkehr zur Folge haben, wie etwa beim Eisenbahnkreuzungsgesetz und vielen Richtlinien zur ÖPNV- und Fahrradförderung.

Nicht tragbar schließlich sind Konstruktionen wie ein Straßenbauprivatfinanzierungsgesetz (solange die vorhandenen Fernstraßen noch öffentlich sind) oder die der bundeseigenen DEGES: Nicht nur werden hier Schattenhaushalte speziell zur Förderung des Autofahrens erlaubt; dazu sollen zukünftige Regierungen auf unabsehbare Zeit durch heutige Verpflichtungen an die Perpetuierung des Autosystems gebunden werden. Selbst im Fall der Auflösung und Handlungsunfähigkeit des Staatswesens: der Straßenbau soll weitergehen und auch dann noch den Anschein der Legalität haben.

Änderungen müssen das Verursacherprinzip einbringen: Verkehr auf unserem Niveau ist keine Aufgabe der Daseinsvorsorge, sondern handelbares Wirtschaftsgut nach den Regeln einer sozialen (und vielleicht auch ökologischen) Marktwirtschaft. Sicher gehört dazu der Aufschlag von Sozial- und Umweltkosten des Verkehrs auf die Verkehrspreise. Vor allem aber müssen die direkten Kosten angerechnet werden. Dabei wird - neben z.B. Bußgeldern, Kommunal- und Verwaltungsgebühren - das größte Paket die Verzinsung und Abschreibung des größten Teiles des Fernstraßennetzes sein - in den Nachkriegsjahrzehnten eben nicht aus der Auto- und Mineralölsteuer, sondern von der Gesamtgesellschaft bezahlt.

Erst eine weitgehende Bereinigung der derzeitigen Verschleierung von Kosten und "politischen" Rahmenentscheidungen setzt Bedingungen, innerhalb derer die Nachfrage der Akteure für die Planungen ernst genommen werden müssen.

Rechtsbereich Wirtschaft und Steuern

Damit rücken die rechtlichen Rahmenbedingungen ins Blickfeld, die unmittelbar die Konten der Bürger und anderer Wirtschaftsakteure berühren und bei denen im Steuersystem eingebaute Subventionierungen abgebaut werden müssen, damit die Akteure frei die ökonomisch und ökologisch "logischen" Verkehrsentscheidungen treffen.

Bei den Verkehrsgebühren und -steuern müssen dabei vor allem diejenigen Pauschalierungen fallen, die extreme Kostenunterschiede verschleiern: z.B. zwischen sanftem Autoverkehr und Hochgeschwindigkeitsautoverkehr (Die 10 % Autofahrer, die letzteres System wollen, müßten die 50 % Mehrkosten der ersten Gruppe mittragen!); z.B. zwischen städtischen und dispersen Siedlungsstrukturen (Autofahren in der Stadt und ÖV-Benutzung in der Dispersion sind extrem teuer; am teuersten die Verknüpfung; extrem billig dagegen die Stadtvernetzung mit ÖV).

Statt der vieldiskutierten Nahverkehrsabgabe scheint der Vorschlag des difu zielführender, die vorhandene Grundsteuer in eine gemischte Flächen- und Bodenwertsteuer umzuwandeln, da dadurch allgemein qualifizierte städtebauliche Dichte gefördert wird, die auch ebenerdigen Stellplatzbau nicht verträgt.

Nicht unbedeutend wäre, für das System Autoverkehr das Gefährdungsprinzip einzuführen - ähnlich wie für Betriebe, Baustellen usw. Damit müßten die Kfz-Haftpflichtversicherungen nicht nur die "schuldlosen" Personenschäden erstatten, sondern auch die "schuldigen":- die zweite Hälfte und alle Alleinunfälle. Das Prinzip gilt ja auch schon heute: Versichert ist nicht der Fahrer, sondern das Fahrzeug.

Schließlich müßten die Verkehrs- und Autoverkehrsprivilegien bei der Einkommenssteuer fallen: Der Weg zur Arbeit wird - angesichts des entspannten Wohnungsmarktes - zum Weg zur Wohnung, damit Teil der privaten Lebensführung und damit voll steuerpflichtig, ebenso wie der geldwerte Vorteil von Firmenparkplatz oder Job-Ticket. Ähnlich müssen auch die Stellplatzkosten aus den steuerlichen oder sonstigen Förderungen der Wohnungsbaufinanzierung ausgeschlossen werden.

Insgesamt wird daraus eine (paritätische) Verringerung von öffentlichen Einnahmen und Ausgaben im Verkehrsbereich resultieren, eine deutliche Entlastung der Lebensbereiche mit weniger Transport, eine deutliche Verringerung der volkswirtschaftlichen Gesamtausgaben für Verkehr und spürbare Erhöhungen der Verkehrspreise - und damit der mit viel Transport verbundenen Lebensbereiche.

Bereich Planung und Forschung

Am Rande des Rechtssystems entfalten unter dem Leitbegriff "Stand der Technik" die Ergebnisse von Forschung und sogar Planung rechtsähnliche Wirkungen, z.B. in der Rechtsprechung, bei Finanzierungsvereinbarungen und als "Fachwissen" im mittleren Verantwortungsbereich. Eine jahrzehntelange Monopolisierung der Forschung durch die von interessierten Branchen beherrschten Forschungsgesellschaften führten zu einer mißbräuchlichen Verwendung und damit inhaltlichen Entwertung der Ergebnisse gleichzeitig. Es werden technische Sachzwänge konstruiert und Forschungsergebnisse als unwissenschaftlich diffamiert, wenn sie andere Axiome als die des wachsenden, schnellen Autoverkehrs haben.

Folgende wesentlich inhaltlichen Erweiterungen der Forschungshorizonte erscheinen notwendig: Erstens die Trennung der Zukunftsentwicklung von bisherigen Trends. Die Fortschreibung von Analysen - wie auch immer modifiziert - verhindert, ja, ist das Gegenteil von Zukunftsgestaltung. Zukünftiges Verhalten - auch Verkehrsverhalten - muß der zukünftigen Entscheidung der zukünftigen Verkehrsteilnehmer überlassen bleiben. Zweitens müssen Verkehrsanlagen nicht automatisch mit Mengenreserven, sondern auch als Mengenbegrenzung - also an der Überlastungsgrenze - effizient planbar sein. Drittens gilt dieser Begrenzungsanspruch auch für Geschwindigkeiten. Diese drei Axiome würden funktionierende Lösungen liefern, die ähnliche Erreichbarkeiten und Verkehrsleistungen bei halbierten Kosten und Lasten ermöglichen.

Institutionelle und rechtliche Änderungen stehen hier weniger im Vordergrund: Breite Aufklärung über die erwähnten Sachverhalte würden einerseits die strikte Anwendung des derzeit propagierten scheinbaren "Standes der Technik" aufweichen und relativieren. Gleichzeitig müßten diversifizierte Forschungsanstrengungen aus wesentlich breiteren Wissenschaftsbereichen die Verkehrsthematik bearbeiten - etwa Ökonomen und Sozialwissenschaftler, Stadtplaner und Landschaftsarchitekten, Umweltingenieure, Ökologen, Geografen, Physiker u.v.a. Hilfreich für breitere Konzepte und Erkenntnisse wäre eine Dezentralisierung aller Forschungsmittel "Verkehr" auf förderative Gremien von Ländern und Kommunen; eine zentrale Institution wie ein Bundesministerium scheint eher geeignet, Einheitlichkeit zu perpetuieren als Innovation und Vielfalt hervorzubringen.





Manuskript

Kassel August 1997