Marktkonform ja - aber  richtig!

Verkehrsangebote und -nachfrage müssen auf den Prüfstand

von Hans-Henning von Winning,

erschienen in: der städtetag 9/2000, S.13-18

Inhalt:
1. Kostentransparenz für Preise, Investitionen und Verkehrsregeln
2. Verzinsung vorhandener Infrastruktur: ein notwendiger Erbstreit
3. Kostendifferenzierung nach Lage und Siedlungsstruktur
4. Kostendifferenzierung nach Geschwindigkeit und Systemdynamik
5. Wettbewerb der Technikstandards für bessere Anpassung
6. Einige notwendige Zusatzanmerkungen
7. Fazit

Es besteht weitgehende Einigkeit, daß mehr Marktwirtschaft im Verkehrswesen heilsame Entwicklungsimpulse geben könnte. Das Forum Mensch und Verkehr der SRL – Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung hat Vorschläge zur Verkehrsreform veröffentlicht und der Bundesregierung vorgelegt (PlanerIn 11/99). Kernthese ist dabei, daß die wesentlichen Merkmale einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft Mobilität und Räumliche Ordnung unter Zielen der Nachhaltigkeit am zuverlässigsten sicherstellen werden. Dies sind:

    - Die Transparenz von Kosten und Preisen (einschließlich aller externen und Folgekosten) des Verkehrs würde die notwendige öffentliche Kontrolle bei unvermeidlichen Gebietsmonopolen sichern. Sie bildet die Basis für Vertrauen, Angebotsvergleiche und Preissysteme.

    - Die Zahlungsbereitschaft der Verbraucher von Verkehr würde am besten die Dringlichkeit und Struktur ihrer sektoralen und teilräumlichen Verkehrsnachfrage ausdrücken und ggf. Neuinvestitionen begründen. Solange die Wahlfreiheit durch Subventionierungen, Pauschalierungen von Preisen sowie hoheitliche Beglückungen, und Lastentransfers verfälscht wird, ist die Nachfrage nach Verkehr und Standorten sowie ihre wissenschaftlichen Prognoseversuche wenig aussagekräftig und weitgehend unbrauchbar.

    - Ein Wettbewerb der Technikstandards als Anbieter von Verkehr würde für preisgünstige, effiziente, diversifizierte und innovative Angebote sorgen. Solange die Anbieter staatlich geschützte Monopole sind, werden Infrastruktur , Management und Organisation des Verkehrs diese Eigenschaften vermissen lassen.

Die Empfehlungen des wissenschaftlichen Beirats des BMVBW vom Februar 2000 (S. “Internationales Verkehrswesen 5/2000, S.186 ff.) berufen sich auch auf den Markt, lassen aber gerade diese Vorteile einer Marktwirtschaft aus. Stattdessen empfehlen sie die kostenlose Aneignung des vermeintlich herrenlosen Gutes der vorhandenen Straßeninfrastruktur, Verwendung der darauf basierenden Einnahmen nach eigenen Vorstellungen, und Legitimierung und Sicherung dieses Verfahrens durch den Begriff "Privatwirtschaft".

Eine echte soziale und ökologische Marktwirtschaft kommt für Raum und Verkehr zu ganz anderen  Schlußfolgerungen. Im Folgenden sollen hierzu einige Aspekte angesprochen werden - ohne Anspruch auf Vollständigkeit und als Anregung für Präzisierung in weiterer Forschungstätigkeit; aber mit dem Anspruch, die relevanten Größenordnungen, Zusammenhänge und Arbeitshypothesen anzusprechen und nicht aus Partikularinteresse die entscheidenden Aspekte zu verschleiern und von ihnen abzulenken.

1. Kostentransparenz für Preise, Investitionen und Verkehrsregeln

Der Aufwand für Verkehr erschließt sich nur unzureichend den unmittelbaren Sinneseindrücken. Kostentransparenz ist daher anfällig für Fehlinterpretationen und bedarf vollständiger und differenzierter Analyse. Eine alleinige Unterscheidung zwischen Verkehrsmitteln oder -trägern ist unzureichend und irreführend. Folgende Differenzierungen müssen stärker beachtet werden:

    - Verzinsung und Abschreibung der vorhandenen Verkehrsinfrastruktur

    - Siedlungsstruktur (Lage urban oder nicht urban)

    - Systemdynamik (angepaßte oder höchste Geschwindigkeit).

Dies wird in den folgenden Kapiteln erläutert werden.

Verkehrsinfrastrukturen wie Straßen sind Wirtschaftsgüter, für die sich eine hoheitliche und kameralistische Verwaltung schlecht eignet; ihre Eigenschaft als weitgehende Gebietsmonopole spricht aber gegen eine völlige Privatisierung. Gerade aber bei gemeinwirtschaftlichen Tätigkeiten der Gebietskörperschaften ist eine offene, kontrollierbare und differenzierte Kostenrechnung unabdingbare Voraussetzung für Vertrauen, effizienten Mitteleinsatz, Preisfindung und schließlich Kostenanrechnung. Kostentransparenz ist aber nur eine von mehreren Voraussetzungen für Kostenanrechnung durch Verkehrspreise. Folgende Überlegungen zeigen, daß erstens Verkehrspreise weiteren Kriterien unterliegen und daß zweitensKostentransparenz auch für andere Zwecke erforderlich ist:

    - Nutzungspreise für bestehende Verkehrsanlagen wie Straßen, Schienen usw. sollten zwar die Relationen der Kosten einer Neuerrichtung reflektieren; versuchte der Träger aber, absolut die Gesamthöhe der Kosten über Preise abzudecken, so würde wohl in vielen Fällen die Verkehrsnachfrage weit unter eine sinnvolle Auslastung sinken. Das wäre unökonomisch und auch unökologisch. Eine Preisfindung wird da wohl gelegentlich Knappheiten, häufig aber Überkapazitäten widerspiegeln.

    - Entscheidungen über Neuinvestitionen können nur dann positiv ausfallen, wenn eine echte Gesamtkostenrechnung ausreichende Rendite verspricht - wenn also mehr als die erwähnten Billigpreise für die Nutzung erzielbar sind. Marginalkostenrechnungen sind nur für Restvermarktungen berechtigt, dürfen aber nicht zur Begründung von Erweiterungen verwendet werden.

    - Entscheidungen über Standards und Normen haben erhebliche Auswirkungen auf die Höhe und Verteilung der Kosten von Bau und Betrieb aller Systemteile. Ob Tempolimit, Kilometerpauschale, zulässige Radlasten, Bahnhofsrenovierung oder viele andere: ohne die breite Palette aller Möglichkeiten, ohne differenzierte Kostentransparenz und ohne Benennung von Gewinnern und Verlierern bleiben alle politischen Entscheidungen über gesetzliche Normen oder technische Regelwerke unglaubwürdig und tendenziell.

In den folgenden Kapiteln 2.-4. sollen einige besonders relevante Kostenfaktoren erläutert werden.

2. Verzinsung vorhandener Infrastruktur: ein notwendiger Erbstreit

Ökonomische Grundregel ist, daß sich Verzinsung und Abschreibung benutzter Verbrauchsgüter in den Preisen wiederfinden müssen. Andernfalls sind (auch Verkehrs-) Verbraucherentscheidungen nicht marktgerecht, sondern verfälscht und subventioniert. Bezogen auf den Straßenverkehr reden wir hier je nach Berechnungsansatz von einem Vermögen in der Größenordnung von 2.500 Mrd. DM für die Straßen und Parkplätze der BRD. Das ergäbe bei marktkonformer Vollkostenrechnung 6% Verzinsung und 4%Abschreibung und damit eine Annuität von 250 Mrd. DM. Das ist zufällig (?) etwa die Summe der jährlichen Zinszahlungen aller öffentlichen Haushalte. Würde man den Autoverkehr den allseits anerkannten Regeln der Marktwirtschaft unterwerfen und nicht ständig neu gegen jeden Markt staatlich bezahlen und verschenken, müßten die Straßenbenutzer diese Summe jährlich bezahlen. Dazu wären sie sicher nur teilweise bereit; doch dazu später. Zunächst sei die Frage behandelt, an wen denn wohl die Preise bezahlt werden müßten, die eine echte Kostendeckung von Straßen- und Parkplatzbenutzung bedeuten würde, kurz, wem diese eigentlich gehören.

Gesetzlich ist diese Frage eindeutig beantwortet: Benutzungspreise für Verkehrsinfrastruktur stehen als Einnahmen zweifelsfrei den Gebietskörperschaften zu. Das öffentliche Eigentum an Straßen ist keine historische Zufälligkeit, sondern gezielte Politik der Regierungen von 1930 (und früher) bis heute. Das ändern weder Erschließungsbeiträge noch komplizierte Zuschußverfahren. Legitimationsüberlegungen, die gegen das Non-Affektationsprinzip gefühlsmäßig auf eine Zweckbindung der Kfz-bezogenen Steuern abheben, ist folgendes entgegenzuhalten: Erstens hieße auch Zweckbindung nicht kostenlose Überlassung; zweitens war während der Errichtung des überwältigenden Teiles der Infrastruktur zwischen 1930 und 1970 dieses Steueraufkommen wegen geringer Motorisierung dafür bei weitem nicht ausreihend; und drittens wären die damaligen Steuern schon damals nicht ausreichend für eine betriebswirtschaftlich korrekte Verzinsung oder gar Abgeltung externer Kosten, sodaß von daher keine Anrechnung auf Straßenneubau gerechtfertigt war.

Aber selbst wenn man alle diese Argumente verwirft, ist nun keineswegs logisch, daß die Autofahrer von 2010 die Erben der Straßenfinanzierer von 1960 seien: logischerweise wären es eher deren gesetzliche Erben, Kinder usw., die dann ihr Erbe gern und möglichst teuer an die Autonutzer von heute vermarkten würden. Keinesfalls kann ein "Testament" des Gesetzgebers oder der Straßenfinanzierer von 1960 nach 50 Jahren immer noch eine Verpflichtung der Folgegenerationen zur weiteren Verbilligung desAutofahrens legitimieren.

Die Eigentümer der Verkehrsinfrastruktur und damit die Nutznießer von Nutzungspreisen sind jedenfalls nicht pauschal alle Autonutzer von heute, und schon gar nicht die Straßenverwaltungen. Eines der größten Kapitalien der Gebietskörperschaften, die Verkehrsinfrastruktur, ist kein freies Gut. Wer sich das kostenlos aneignen will, enteignet die Gemeinschaft - rechtssystematisch unbegründet und ökonomisch, ökologisch und sozial schädlich Bund, Länder und Kommunen - also de facto die Steuerzahler - verzichten heute diskussions- und ersatzlos auf Einnahmen von ungeheurer Größenordnung aus einem ihrer größten Vermögen. Stattdessen überlassen sie diese Rendite gegen ihr eigenes wirtschaftliches Interesse willkürlichem, beliebigem Zugriff.

Nur angemessene Preise gewährleisten eine angemessene Verteilung zwischen Individuen, die ja miteinander konkurrieren. "Die Autofahrer" ist ein sozialwissenschaftliches Konstrukt, das keineswegs eine verschworene, solidarische Gruppe darstellt. Seine Heterogenität über Zeit, Raum und Struktur ist so groß, daß es für die maßvollen Autonutzer von heute unzumutbar ist, mit allen anderen, die je Auto fahren werden oder gefahren sind, pauschal in und aus einem Topf zu wirtschaften. Auch wenn "Alle" selbst als Autofahrer gelegentlich zahlen müßten: sie hätten dann doch die Chance, weniger oder anders zu fahren und dadurch Geld zu sparen.

Wenn die diversen Benzinpreisdebatten ernstzunehmen sind, muß wohl eine recht geringe Zahlungsbereitschaft der Verkehrskunden für große Teile des Angebotes abgeleitet werden. Die Schlußfolgerung daraus ist aber nicht Verzicht auf eine Preis- und Kostendiskussion, sondern ihre Intensivierung, weil einige sehr heilsame Ergebnisse erwartet werden können:

    - Preisgestaltung nach Knappheiten und freien Kapazitäten; damit hocheffiziente Ausnutzung der bestehenden Anlagen und Vermeidung von Leerstand oder Überlastung.

    - Verzicht auf Neuinvestitionen in vielen Teilräumen und Sektoren, in denen schon die bestehenden Anlagen unrentierlich sind.

    - Veränderung der Nachfrage in Richtung auf nachhaltigeren Verkehr, Städtebau und Standorte.

    - Erhebungsmethode mit Schwergewicht auf Road+Park-Pricing, da bei Treibstoff- und Jahressteuer allein oder auch bei Vignette unverzichtbare Differenzierungen fehlen (S. Kap.3).

Der Erbstreit um die vorhandene Verkehrsinfrastruktur ist einer der weißesten Flecken nicht auf der Weste, sondern auf der Landkarte der Verkehrsforschung und gleichzeitig Gegenstand heftigster Kampagnen von Interessengruppen. Der Faktor Verzinsung und Abschreibung dürfte bei Verkehrsanlagen ähnlich hoch liegen wie bei anderen langfristigen Anlagevermögen.

Die marktkonforme Anrechnung von Verzinsung und Abschreibung der vorhandenen Infrastruktur würde die Kosten für die Straßennutzung vermutlich etwa verdoppeln.

3. Kostendifferenzierung nach Lage und Siedlungsstruktur

Eine differenzierte Verkehrskostenanalyse wird feststellen, daß gerade beim sehr flächenaufwändigen Autoverkehr der Anteil der Flächenkosten an den Systemkosten extrem unterschiedlich ist. Nimmt man die reinen Baukosten der Verkehrsanlagen grob mit 200,-DM/qm an, so schlagen die Grundstückskosten außerorts und in suburbanen Gebieten kaum durch: die Verkehrsfläche nimmt nur mehr landwirtschaftliche Nutzfläche in Anspruch; 20,- DM/qm sind aber fast bedeutungslos für die Verkehrswegekosten. Anders in urbanen Gebieten, wo die alternative Nutzung immer die Nachverdichtung ist: Baulandpreise von 200,- oder in hochattraktiven Lagen auch 2000,- DM/qm oder mehr bedeuten hier einen Faktor von 2, 10, oder mehr für die Verkehrswegekosten.

Grundstückspreise oder Verkehrswerte sind zwar kein unumstrittener Indikator für den Wert einer in Anspruch genommenen Fläche; Fragen der Bauleitplanung und des Bodenrechtes spielen mit hinein. Immerhin spiegelt der Bodenmarkt aber nicht nur die individuelle und planerische Inwertsetzung, sondern auch die Bewertung des Mobilitätsvorsprunges der urbanen Situationen wider, also ihre Verkehrsqualität. Die Rückkoppelung durch marktkonforme Verkehrspreise würde dieses Gefälle nicht einebnen, sondern eher noch verstärken.

Die extreme Kostenspreizung der Flächenkosten erklärt auch, warum eine nennenswerte Treibstoffpreiserhöhung,die unter manchen Aspekten wie etwa Klimaschutz durchaus berechtigt ist, zu Recht Widersprüche hervorruft und nicht befriedigen kann: Pro gefahrenem km wäre ländliche und suburbane Autonutzung unangemessen teuer, (klein)städtische und urbane Autonutzung aber immer noch viel zu billig. Andererseits wird deutlich, wie wenig dem Autofahrer, der hier wie dort ein ähnliches Fahrumfeld erlebt, diese Kostenschere bewußt ist. Er spürt nicht den Wert der von ihm exklusiv genutzten Fläche, er weiß nicht, wieviel er in attraktiven Stadtbereichen der Gemeinschaft nimmt. Entsprechend heilsam würde sich auswirken, wenn die Kostenspreizung wenigstens tendenziell in den Verkehrspreisen spürbar würde.

Auch hier ist ein großer weißer Fleck in der Landkarte der Forschung. Stadt- und Regionalplanung sind dabei mit einigen längst überholten Ideen des Ausgleichs teilräumlicher Disparitäten nicht ganz unschuldig. Auch hier besteht Forschungsbedarf, der etwa die Verknüpfung von Zentren und Umland als wirtschaftliche Nachfrage, nicht aber als hoheitliche Aufgabe begreift.

Die marktkonforme Anrechnung von Flächenkosten würde die Kosten für die Straßennutzung außerorts und suburban kaum beeinflussen, in urbanen Bereichen aber verdoppeln bis verzehnfachen.

4. Kostendifferenzierung nach Geschwindigkeiten und Systemdynamik

Eine differenzierte Verkehrskostenanalyse wird weiterhin feststellen, daß innerhalb der Verkehrsträger der Systemkostenanteil für Höchstgeschwindigkeit und -beschleunigung allein mehr als ein Drittel der Systemkosten verursacht, während die Gewinne an Transportleistung dadurch nur marginal sind. Beim Straßenverkehr ist das durch die Dynamiken von Überholvorgängen und Tempokonkurrenz besonders ausgeprägt. Technisch-wirtschaftlich ist das leicht erklärbar: Alle technischen Systeme haben ein Optimum, einen Bereich besten Wirkungsgrades, der meist deutlich unter dem Leistungsmaximum liegt.

Einzeln kann sich der Verkehrsteilnehmer der Systementscheidung nicht entziehen. Er hat schon mit seinen Steuern den Bau der ICE-Strecke mitbezahlt oder er würde, wenn er auf Überholen verzichtete, in der Konkurrenz im Straßenverkehr zurückfallen, obwohl alle ohne diese Konkurrenz praktisch keine Nachteile hätten. Aber die Systementscheidung selbst als kollektives oder demokratisches Arrangement darf nicht ohne Kostentransparenz und Kostendiskussion fallen. Die Abstimmung über Tempo- und Beschleunigungslimits, über standardisierte und überholfreie Verkehrsabläufe dürfte erheblich anders ausfallen, wenn man die damit verbundenen enormen Einsparungen bei Steuer, Kranken- und Rentenkasse, bei Autokauf und -unterhalt, sowie die dann wesentlich billigeren Umweltstandards mit zur Abstimmung stellt. Denn der Kostenanteil für Spitzendynamiken und Höchstgeschwindigkeiten dürfte vermutlich etwa ein Viertel bis ein Drittel der Gesamtkosten des Autofahrens betragen, bei einzelnen Fahrzeugen oder Teilstrecken wie Brücken oder Tunnel leicht auch deutlich mehr.

Die marktkonforme Anrechnung eines Verzichts auf Spitzendynamiken würde Entscheidungen für Regeln und Normen ermöglichen, die Kosten für das Autofahren vermutlich etwa um ein Drittel senken würden.

5. Wettbewerb der Technikstandards für bessere Anpassung

Die Tradition der Technikstandards gewährleistet mit bemerkenswertem Erfolg generelle Verwendbarkeit und Qualitätssicherung im Sinne von Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit

Gleichzeitig aber tendieren ihre Träger durch die Beschränkung auf Monopole nach 150 Jahren Eisenbahntechnik und 100 Jahren Straßenverkehrstechnik zu starkem Konservativismus und starken Vorbehalten gegen Innovationen. Die sehr sektorale Organisation der Trägerorganisationen bewirkt zum Einen fehlende Einbindungen der Techniken in städtebauliche, landschaftliche oder soziale Zusammenhänge. Zum Zweiten sind dort Solidaritäten oft mehr branchenspezifisch als gesellschaftlich ausgeprägt – oft durch Verquickung von Berufs- und Fachverbänden. Im Ergebnis wird als Stand der Technik nur noch das anerkannt, was extrem aufwendig und unangepaßt ist, z.B. im Energie und Flächenverbrauch. Tendenziell ist bei vielen Branchen erkennbar, daß Brancheninteresse als Technikbedingung ausgegeben wird. Im Verkehrswesen ist das offensichtlich und so stark ausgeprägt, daß sich dadurch ein großer Teil der mangelnden gesellschaftlichen Akzeptanz für Verkehrsprojekte erklärt und die positive Bilanz von Technikstandards im Verkehrsbereich insgesamt in Frage gestellt wird.

Fast in allen Konfliktfällen zeigt sich, daß neben den Standardlösungen preiswertere, angepaßtere und technisch elegantere Lösungen existieren. Dies reicht vom Abstand der Auffahrten von Autobahnen in Ballungsräumen bis zur Durchrutschstrecke bei Schienenhaltepunkten an Bahnübergängen im Nahverkehr. Im Straßenverkehr wäre z.B. besonders erfolgversprechend die Untersuchung von Varianten für Straßen, Fahrzeuge und Verkehrsregeln mit Verzicht auf Hochgeschwindigkeit, individuelle Beschleunigung und Überholen (s.Kap.4.). Auch die Forderung nach Gleichmäßigkeit der Streckencharakteristik muß in ähnlicher Weise auf den Prüfstand.

Die bestehenden Institutionen sind erfahrungsgemäß und interessengebunden für Variation und Innovation dieser Art ungeeignet. Deswegen müssen die Auftraggeber - also Politik und Verwaltung - einen Wettbewerb konkurrierender Technikstandards anregen und z. B. bei Ausschreibungen vorschreiben. Nur Regierungen können Abweichungen von vorhandenen Standards anregen, Wettbewerb mit anderen Branchen und regionalen Initiativen veranlassen. Besonders widersprüchlich ist es, wenn die Formulierung von Forschung und Entwicklung den bestehenden konservativen Technikmonopolen übertragen wird. Nur wenn die Konkurrenz zwischen vielen möglichen Angeboten auch bei Technikstandards nicht künstlich beschränkt wird, kann Vielfalt und Innovation entstehen. Natürlich gehören auch dazu technisch-wirtschaftliche Analysen und transparente Preise. Und erst dann werden die Verkehrsverbraucher eine qualifizierte Nachfrage formulieren können.

Ein Wettbewerb der Technikstandards ist erforderlich, um überhaupt der kollektiven Entscheidung ökonomisch und ökologisch effizientere Lösungen zur Auswahl zu stellen.

6. Einige notwendige Zusatzanmerkungen

Die dargestellten Zusammenhänge sind als Arbeitshypothesen für ein breites Forschungsprogramm zu sehen. Die genannten Kosten, Bandbreiten, und Konsequenzen werden sich bei näherer Untersuchung noch präzisieren. Aber Größenordnungen, Wirkungsrichtungen und Zusammenhänge scheinen nur schwer widerlegbar. Ohne entsprechende Korrekturen im gesamten Verkehrswesen stehen nicht nur ökonomische und ökologische Ziele in Frage. Auch die Ziele sozialer Nachhaltigkeit werden verfehlt werden: Zu parasitär ist die Verfassung des Verkehrswesens, zu groß ist die Diskrepanz zwischen Gewinnern und Verlierern - auch wenn nach 50 Jahren Systemkonstanz diese Rollen fest verteilt und subjektiv nur noch schwer wahrnehmbar scheinen.

Einige Aspekte sollen dazu noch erwähnt werden, die hier aber nicht vertieft werden können:

    - Weitere Verkehrsmittel und Verkehrsträger. Die genannten Zusammenhänge müssen sinngemäß gleichermaßen für Straße, Schiene, Wasser, Luft, für Güter und Personenverkehr, für IV und ÖV, selbst für Energie- und Informationstransport untersucht werden. Überall werden sich bedeutsame wenn auch sehr unterschiedliche Schlußfolgerungen ableiten lassen. Einige davon werden für die Apologeten eines undifferenzierten Verkehrswachstums, einige aber auch für radikale Verkehrsberuhiger überraschend sein.

    - Allmähliche, schrittweise Einführung. Auch starke Veränderungen erfordern allmähliche, berechenbare Einführung. Gerade Preise können oft sozial verträglicher angepaßt werden als radikale Ver- und Gebote. Verkehr durchdringt derart alle Lebensbereiche, daß sowohl Reformen als auch ihre verträgliche und überlegte Einführung besonders wichtig sind.

    - Soziale Kosten - Sozialer Nutzen. Sogenannter sozialer Nutzen muß auch angerechnet und bezahlt werden; und zwar von den Gruppen, denen er nützt. Nützt er nicht, dann existiert eben kein Nutzen. Wenn der soziale Nutzen die Schaffung von Arbeitsplätzen ist, dann ist das Verkehrswesen eine staatliche Beschäftigungsgesellschaft. Eine solche sollte aber andere Aufgaben bekommen, die weniger Schaden anrichten.

    - Umweltkosten. Schätzungen über Umweltkosten liegen zwischen 80 und 250 Mrd. DM p.a. Auch sie müssen transparent gemacht und ggf. zugerechnet werden. Ihre marktkonforme Anrechnung würde Die Kosten für das Autofahren vermutlich etwa um ein Drittel erhöhen.

    - Marktwirtschaft und die soziale Frage. Vielfach hat sich erwiesen, daß gerade existentiell wichtige Dinge - und dazu gehört Verkehr - am zufriedenstellendsten durch eine marktwirtschaftliche Ordnung statt durch staatliche Organe verteilt werden. Dazu gehört ein gesetzlicher Rahmen, der unproduktive Konkurrenzen abregelt, soziale Härten individuell ausgleicht und gemeinschaftliche Güter wie Straßen oder Umwelt vor unbefugtem Zugriff schützt.

    - Bedingungen eines Road+Park-Pricing-Systems. Teilräumlich unterschiedliche Preise können am besten durch Road-Pricing erhoben werden. Es empfiehlt sich ein GPS/UMTS-gestütztes , flächendeckendes, alle Straßen und Parkplätze einschließendes System. Der Datenschutz muß und kann durch anonyme Geräte und dezentrale Bodenüberwachung sichergestellt werden. Besondere Bedeutung wird den Kriterien und der Zuordnung der Preishoheit zukommen.

7. Fazit

Die Empfehlungen des wissenschaftlichen Beirates des BMVBW vom Februar 2000 sehen als ersten Schritt das genaue Gegenteil marktwirtschaftlichen Verhaltens vor: Es soll lediglich die Geldeinziehung für weiteren Verkehrsbau durch Erlöse aus der Aneignung des vorhandenen Straßennetzes privat perpetuiert werden: Ein Freibrief, die bisherigen Verlierer, nämlich die Steuerzahler, die Umwelt und die maßvollen Autofahrer, noch ungenierter auszuplündern als bisher. Stattdessen müßten Verkehrsangebot und -nachfrage auf den ständigen Prüfstand des Marktes, und dürfen nicht weiterhin unter dem Schutz staatlichen Monopols strukturell verfälscht und überteuert werden. Die Diskussionen um Ökosteuer oder Abschaffung der Kilometerpauschale sind dabei ergänzend sinnvoll, allerdings mit unbedeutender Größenordnung und struktureller Schieflage.

Marktwirtschaft ist ein guter Ansatz für eine erfolgreiche Verkehrsreform, aber eben mit ihren positiven Seiten wie Kostenbewußtsein, Wettbewerb und Fortschritt. Die vorläufigen ökonomischen Analysen bestätigen die Tendenz demokratischer Entscheidungen, immer weniger Geld für Verkehrsinfrastrukturen vorzusehen. Strukturell besonders aufschlußreich und relevant sind dabei die marktkonforme Anrechnung von Zinsen, Abschreibungen und Flächen sowie ein Wettbewerb bei Technikstandards. Die Vermutung liegt nahe, daß die betriebswirtschaftliche Aufgabe in vielen Fällen darin bestehen wird, ein offenbar wenig marktgängiges Erbe bestmöglich zu verwerten und auf ein niedrigeres Niveau herunterzufahren, zu optimieren, und zu stabilisieren. Hierzu ist eine Privatgesellschaft durchaus geeignet. Ihre Aufgabe ist aber nicht die Systemerweiterung gegen ökonomische Rationalität auf dem finanziellen Polster angeeigneten Vermögens. Vielmehr kann und soll eine Privatgesellschaft für marktkonforme und kostengerechte Differenzierung von Umbau, Betrieb und Verteilung nach Angebot und Nachfrage sorgen - einschließlich der Offenlegung alter Schulden und der Bezahlung wenigstens einer Minimalrendite an die Eigentümer.

Auch Stadt-, Regional und Landesplanung werden erst dann wieder funktionieren, wenn das Verkehrswesen aus staatsmonopolistischer Mißwirtschaft befreit wird. Dann allerdings wird sich auch erweisen, daß Räumliche Planung nicht ordnungspolitisch gegen den Markt durchgesetzt werden muß, sondern als höchst effizient im ökonomischen wie im ökologischen Sinn nachgefragt werden wird. Denn die derzeitigen Standort- und Verkehrsentscheidungen der Bürger beruhen eben nicht auf Markt, Emanzipation und Technikfortschritt, sondern auf Marktverfälschung, Gängelung und Technikverhinderung durch staatliche Randbedingungen und Organe.

Das Verkehrswesen hat kein Finanzierungsproblem. Verkehr ist aber für Wirtschaft und Gesellschaft zu wichtig, als das man die Strukturprobleme des Verkehrswesens aus den Vorteilen einer freien Marktwirtschaft ausnehmen dürfte. Die Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung SRL hat dazu Vorschläge für ökonomische, ökologische und städtebauliche Effizienz vorgelegt (PlanerIn 4/99), die nun als originäre Aufgabe für die Bundesregierung in Forschung, Öffentlichkeitsarbeit und Politikvorbereitung einfließen müssen.

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