Mobilität von Personen, Waren, Informationen

Wieviel City braucht eine europäische Stadt? Welche Erreichbarkeiten verträgt ein Nachhaltigkeitskonzept? Wohin sollten Reformen zielen?

Hans-Henning von Winning,

Vortrag am Institut für Städtebau der DASL, Berlin, 14.6.1999
 

Vorbemerkung

Die Themen Verkehr, Mobilität und daraus abgeleitet Kriterien für dieWahl von Standorten und Bauformen zeigen immer wieder Ratlosigkeit und fundamentale Widersprüche. Erwartungen, Wahrnehmungen und Verhalten sind geprägt durch eine Verkehrsverfassung, die Kosten und Lasten des Verkehrs zum überwältigenden Teil nicht seinen Nutzern, sondern anderen Personen, Zeiten, Räumen oder Teilkollektiven anrechnet. Dies führt zwangsläufig zu zu viel, zu teuren, und zu schädlichen Verkehren. Planungsziel muß daher größtmögliche Erreichbarkeit bei geringstem Aufwand sein - unter derzeitigen Randbedingungen gelegentlich auch gegen Nutzerwünsche. Zum Thema "City" folgen dafür nun einige Gedanken.
 

1. City und Mobilität: Bausteine für eine neue Sichtweise.

Zur allgemeinen Begriffsklärung. Alt/Neu, Mitte/Rand, Zentrum/Peripherie, Innen/Außen, Stadt/(Um-?)Land/Dorf, Mischung/Monofunktionalität, Dichte/Dispersion, Urbanität/Suburbanität bezeichnen höchst unterschiedliche Sachverhalte, die analytisch und besonders planerisch in unterschiedlicher Konstellation vorkommen können. und deswegen sorgfältigst unterschieden werden müssen. Ein vulgärkonzentrisches Verkehrs- und Siedlungs(leit-)bild versperrt den Blick für planerische Möglichkeiten und Notwendigkeiten.

Zur Ökonomie und Ökologie von Verkehr. Eine technisch-wirtschaftlich korrekte Lasten- und Kostenermittlung muß Flächeninanspruchnahmen sowie Verzinsungenund Abschreibungen beinhalten. Sie muß nicht nur die einzelnen Verkehrsträger differenzieren, sondern insbesondere unterschiedliche Geschwindigkeiten und unterschiedliche Siedlungsstrukturen. Dabei wird (ÖPN)Verkehr zwischen dichten, gemischten Gebieten untereinander extrem billiger, (MI)Verkehr zwischen dispersen Gebieten untereinander etwas, und (ÖPN und MI) Verkehr zwischen dichten und dispersen Gebieten nennenswert teurer. Jede andere Preis- und Rechtsordnung ist parasitär und ökonomisch, ökologisch,und sozial nicht  nachhaltig.

Zur Versorgung mit materiellen Gütern. Das gekaufte sofort anfassen, mit dem Verkäufer kommunizieren, und den Einkauf gemeinsam mit den Mitbürgern zelebrieren wird zukünftig nur für 20% des Konsums gewünscht werden. Teleshopping mit Lieferservice oder für 2.000,- DM Einkauf im Minivan bieten eine durchaus verkehrssparende Logistik Dafür wird wohl auch bei aufwanddeckenden Verkehrspreisen das Einfachzwischenlager an der Autobahn nachgefragt werden. Darunter muß aber das "Städtische" nicht leiden.

Zur baulichen Struktur. Erdgeschossige Papphäuser sind nach 10 Jahren abgeschrieben. Es empfehlen sich ähnlich kurzlebige Erschließungstechniken, befristete Genehmigungen, und Entsorgungs- bzw. Renaturierungssicherstellung. Großflächigkeit (z.B. Einzelhandel) kann auch mit Dichte (Zusatzgeschosse), Mischung und Öffentlichkeit (Straßenbezug statt Mall) gekoppelt werden; kann also auch "Städtisch" sein.

Zur Stadt-Land-Beziehung. Die historische Marktfunktion betraf nur einen Bruchteil des heutigen Warenumsatzes. Schutz, Ver- und Entsorgung, Repräsentation und Machthierarchien müssen heute nicht mehr regional bezogen sein. Zukunftsfähig (weil deutlich mobiler) scheint eher das "südeuropäische" Modell der Städtevernetzung (auch unter Einschluß kleiner,ländlicher urbaner Einheiten.) zu sein.Das "angelsächsische" Modell des In die Stadt/Aufs Landführt zu  geringster Mobilität bei viel und teurem Verkehr. Die "kulturell oder wirtschaftlich zurückgebliebene Landbevölkerung" gibt es nicht mehr. Stattdessen gibt es in einem Nachhaltigkeitsmodell Nachfrage sowohl nach einigen autoaffinen, aber wieder mehr nach stadtvernetzten Standorten, Funktionen und Lebensstilen.

Zum Raumordnungsparadigma Zentrenhierarchie. Klassische Modelle spiegeln überholte Vorstellungen wider: Gleichwertigkeit von Teilräumen bei der Mobilität statt kompensatorischer Bewertungen; Eindeutige Beziehungen statt diverser Vernetzungen; Mitte statt extremer Differenzierung und Fragmentierung; die "angelsächsische" Stadtvorstellung statt hoher Wahlfreiheit und Mobilität. Bei einer nachhaltigen Verkehrsverfassung wird eine Standort- und Verkehrsnachfrage entstehen, die Städtevernetzungen einerseits und Autoland andererseits mit nur wenigen Verknüpfungen zwischen diesen beiden realisiert. Das "Städtische" wird dabei in neuer Definition eine ausgesprochene Blüte erleben. Raumordnung und Bauleitplanung müssen deutlich weniger als heute gegen den Markt agieren.

Zur Nachhaltigkeit von Informationstransporttechniken. Telefon,E-Mail und derzeitige Internet-Qualität sind tatsächlich weitgehend ubiquitär. Allerdings sind trotz Technikfortschritt die Übertragungskapazitäten begrenzt, insbesondere für zeitgleiches Dialog-Video höchster Bildqualität. Dieses erst wird massenhafte Faszination, Gebrauch und Lebensumstellungen bewirken (Betreuungen, Reparaturen, Therapien, berufliche und private Sozialkontakte). Hierfür ist Entfernung aufwendig. Neue Internet-Protokolle müssen also Abrechnungsmodule bekommen. Informationstechniken haben entgegen dem Anschein hohe Energie- und Stoffentwertungsraten. Ihre geringe Flächenentwertung beim Gebrauch macht sie zu einer sehr stadtaffinen Technik; die Distanzkosten könnten (im Gegensatz zu physischem Verkehr) Umland- und Regionsbeziehungen aufwerten. Dazu ist aber öffentliche Einflußnahme für faire Marktbedingungen notwendig.
 

2. City und Mobilität: Handlungsbedarf

Handlungsbedarf private Bauherren. Überfällig sind Erkenntnis der ökonomischen Aspekte von Transportaufwendungen und ihrer Minimierung durch entsprechende städtebauliche Konzepte: Nach Dichte und Mischung sollten Bauvorhaben nun auch Straßen- und Öffentlichkeitbezug erhalten. Unterstützung hoheitlicher Eingriffe, sofern sie Spielregeln zur Dämpfung unproduktiver Konkurrenzen beinhalten (z.B. Tempolimits, Bauverbote). Unterstützung echter Zurechnung aller direkten, Sozial- und Umweltkosten bei Bau und Betrieb gemeinwirtschaftlicher gebietsmonopoler (Transport-) Infrastrukturen (Straßen, Leitungen, Flughäfen u.v.a.m.). Stärkung konzernübergreifender Ständeorganisationen mit längerfristigem Auftrag zur Politikunterstützung

Handlungsbedarf Politik Einführung von Marktwirtschaft in Verkehr und Informationstechnik im Sinne einer Kartellaufsicht.(Kostentransparenz und Kostenzurechnung; z.B. flächendeckendes Road+Park-Pricing). Effizienzreform und Kostendämpfung durch neue Technikstandards für alle Verkehrsträger. Dezentralisierung von Verkehrsverwaltung und Verkehrsforschung auf kommunale Einrichtungen. Stärkung kommunaler Verbünde mit längerfristigem Auftrag und hoheitlichen Funktionen.
 

Schlußbemerkung

Die europäischen Städte brauchen hocheffiziente Qualifizierungen und Vernetzungen ihrer städtischen Teile - aber keine Cities für suburbane Lebensformen. Dazu bedarf es einer Verkehrsreform (ähnlich der Gesundheitsreform!). Die meist seit langem verdeckten und damit inzwischen extrem überhöhten Kosten des Transportes bedrohen existenziell die Wirtschaft. Je geringer der Aufwand für die Hilfsfunktion Transport ist, umso größer sind die öffentlichen und privaten Budgets für Handel und Bauwirtschaft, für Austausch von Waren und Dienstleistungen. Und umso größer werden die Spielräume für ökonomischen und okologischen, für sozialen und kulturellen Fortschritt.

Literatur

Krug,H.: Raumstrukturelle Auswirkungen einer Verkehrsreform. In: Geografische Rundschau,50 (1998), S.575 ff.

v.Winning,H.-H.: Zeit, Geschwindigkeit, Verkehr - Bausteine einer Verkehrsreform. In: Widerspruch, 36, Zürich(1998), S. 157 ff.

v.Winning,H.-H.: Nachhaltigkeit und Effizienz - Aktuelle Beiträge zur Verkehrsplanung. Hrsg. Universität Kassel, FB 13, Heft 115, 1997