Ökonomische Zwänge als Motor für ökologische Mobilität

Wieder einmal wird es Mode, ökologische Ziele im Verkehr vordergründig als ökonomischen Luxus zu diffamieren. Doch dieses ist Begriffverwirrung: gerade weiteres Verkehrswachstum wäre Luxus, Konsum und Verschwendung. Tatsächlich sind in Deutschland Verkehrspolitik und Verkehrsplanung in höchsten Maße unökonomisch und unökologisch. Tatsächlich fordern gerade wirtschaftliche Engpässe besondere Einsparungen bei Unkosten - und Verkehr ist nun einmal Hilfsfunktion, für welchen Zweck auch immer. Dazu liegen im Verkehr die größten Rationalisierungspotentiale - ungenutzt in jahrzehntelanger quasi-staatlicher (Miß-)Wirtschaft in einem Verkehrsmarkt voller marktfremder Verschwendung.

Einige Begriffserklärungen und Planungsanregungen sollen im folgenden vermitteln, daß gerade die Verkehrsplanung für eine Versöhnung von Ökonomie und Ökologie Beispiel und Vorreiter sein könnte.

Unökonomisch: Blühende Verkehrswirtschaft auf Kosten von Bürgern, Verbrauchern, Unternehmern, Steuerzahlern

Wenn die Verkehrswirtschaft gute Geschäfte macht, mindert das den Wohlstand der Gesamtgesellschaft. Gewinner sind zwar viele, vom Asphaltarbeiter über den Luftverkehrsmanager bis zum bezahlten Umweltaktivisten. Aber alle produzieren Kosten. Wann immer der unmittelbare Nutznießer diese Kosten nicht unmittelbar trägt, trifft er die für ihn zwar rationale und gewinnbringende, für die Summe der

Akteure der Volkswirtschaft ökonomisch aber falsche Entscheidung für zu viel Verkehr: das klassische Dilemma der sozialistischen Planwirtschaft. Das geschieht bei Zwängen durch Fehlentscheidungen aus der Vergangenheit, bei gesetzlich verordneten Preispauschalierungen, bei hohem Gemeinschaftsanteil der Gesamtkosten, und bei der Chance, Kosten oder Lasten auf später zu definierende Dritte abzuwälzen. Schließlich entstehen Zwangsmobilitäten: selbst Hochqualifizierte können nicht vermeiden, erhebliche Teile ihrer Zeit und ihres Einkommens völlig unproduktiv mit einer so subalternen Tätigkeit wie dem Steuern eines Autos zu verschwenden. So steigt die Nachfrage, darauf das Angebot, schließlich die Kosten. Nachfrageermittlungen über Abfragen von Trends aus der Vergangenheit sind daher die falscheste Planungsgrundlage - ebenso wie die Auskünfte der Verkehrswirtschaft mit ihrer Interessenlage.

Wirklich ökonomisch wird nur strengste Kostenzurechnung - und ein Handlungsrahmen, der gleichzeitig die Freiheit zu weniger und wirksamerem Verkehr läßt. Das aber wäre auch ökologischerer Verkehr.

Unökonomisch: Vorführung von Transportsystemen ohne Weltmarktzukunft

Die Verkehrsförderung wäre vielleicht vertretbar, wenn man dem Weltmarkt glauben machen könnte, 280 km/h auf der Autobahn wären sinnvoll, notwendig, oder wenigstens schön. Der hat sich aber längst für 120 km/h entschieden - und für den massenhaften stop-and-go-Verkehr in den weltweiten Ballungsräumen.

Ähnlich bei der eigentlich überzeugenden Magnetschwebetechnik. Ihre Systemvorteile sind: Wirtschaftlichkeit bei höchsten Zugfolgen; höchste Beschleunigungen und Verzögerungen, also Haltestellenabstände bei ein bis zwei Kilometer; Tauglichkeit für extreme Steigungen und Gefälle; Lautlosigkeit bei 80 km/h.. Das hört sich nach S-Bahn in Ballungsräumen der Mittelgebirge an. Welchen dieser Vorteile bitteschön soll eine Demonstrationsstrecke Hamburg - Berlin dem Weltmarkt deutlich machen?

Wirklich ökonomisch und weltmarktfähig wären umweltoptimierte Pkw für konkurrenzfreien Langsamverkehr in Ballungsräumen; integrierte, platz- und energiesparende sowie hochorganisierte und komfortable ÖV-Systeme, die dazu dem Fahrgast echte Privatzeit schenken. Die Geschwindigkeitsideologie versucht, auch gelegentlich mit Erfolg, Träume zu verkaufen. Ökonomisch oder ökologisch ist sie nicht.

Unökonomisch: Internationaler Wettlauf um nationale Verkehrssubventionen

Schwerwiegend ist der Einwand der globalisierten Wirtschaft, sie könne nicht konkurrieren, weil die Konkurrenzländer die Transportkosten (auch) subventionierten. Die Betriebe verkennen dabei, daß diese Verkehrsförderung über die Steuerlast ja wieder mit Aufschlag vom volkswirtschaftlichen Ertrag bezahlt werden muß. Und daß so wieder mehr Verkehr veranlaßt wird als ökonomisch sinnvoll, weil dem Nachfrager ein zu geringer Preis vorgegaukelt wird.

Änderungen erfordern sicher auch internationale Abstimmungen. Die weitgehende Ächtung von Verkehrssubventionen, europa- und weltweit, muß auch im Straßenverkehr und im Luftverkehr gelten - ähnlich wie auch die Neuorganisationen des Schienenverkehrs mit Widersprüchen zu den Regeln des Freihandels begründet wird. Auch hier wird das Ergebnis wieder sein: teurerer Verkehr, besserer Verkehr, weniger Verkehr, effektiverer Verkehr, ökonomischerer Verkehr und ökologischerer Verkehr.

Ökonomisch und ökologisch: Erreichbarkeit statt Höchstgeschwindigkeit, Wirkung statt Leistung um jeden Preis

Sektorale Optimierung einzelner Verkehrssysteme hat häufig das Oberziel Erreichbarkeit und Wahlfreiheit vergessen lassen. Bestes Beispiel sind die Flächenansprüche von Straßenbau- und Stellplatzvorschriften. Sie lassen die Stadt soweit auseinanderrücken, daß überproportionale Nachteile für Fußgänger-, Rad- und Öffentlichen Verkehr entstehen: mehr Auto in der Stadt vermindert die Erreichbarkeiten.

Neben dem Flächenverbrauch werden aber auch alle anderen Kosten, Lasten und Schäden ungenügend einbezogen: Lärm, Abgase, feste Schadstoffe, optische und seismische Schäden, Energie-, Rohstoff- und Abfallbilanzen müßten bei jeder Bewertung von Verkehrsleistung mitbetrachtet werden, ökologische und ökonomische Bewertungen sind dann nicht mehr im Widerspruch zueinander, sondern laufen völlig konform.

Verkehrsplanung: Systemoptimierung statt Menschheitsbeglückung

Die landläufige verkehrspolitische Diskussion ist aber noch weit entfernt von Verkehrssystemen mit besten ökologischen und ökonomischen Wirkungsgraden. Denn sie ist geprägt von Privatinteressen besonders artikulationsfähiger Teilkollektive einerseits und andererseits von einer - angesichts quasi-planwirtschaftlicher Randbedingungen völlig verfälschten - Nachfrageermittlung. Die Planer teilen sich dabei auf in die Pro- und Contra-Auto-Ideologen in die Volksbeglücker, die mit Zuckerbrot und Peitsche die Bürger pushen oder pullen, manchmal sogar ver"Lager"n wollen, und in die harmoniebedürftigen Mediatoren, die vor allem Gerechtigkeit und Zufriedenheit unter den Akteuren aller Lager stiften wollen.

Hier muß - mit aller Deutlichkeit - technisch-wirtschaftliche Richtigkeit als objektive Meßlatte eingefordert werden, auch wenn dabei Bandbreiten und Bewertungen nicht vermeidbar sind. Siedlung, Mobilität und Verkehr haben einige Gesetzmäßigkeiten, die weder Mehrheitsmeinung, noch Technikträumerei, noch Analyse und Fortschreibung gegenwärtigen Unsinns außer Kraft setzen kann. Es ist nicht so, daß wir jede Menge gute Konzepte hätten, zu denen nur die Durchsetzungsstrategie fehlte. Vielmehr müssen die Verkehrswissenschaften endlich wirklich schlüssige Konzepte vorlegen. Optimierte Teilsysteme mit Brücken zu allen Nachbarwissenschaften, die als wesentliche Änderung eine weitgehende Kostenzurechnung voraussetzen, sind die zentrale Aufgabe der Verkehrsplanung. Da muß sehr viel des heute mit enorm viel Geld Beforschten hart auf den Prüfstand. Denn es wird weniger motorisierter Verkehr herauskommen, überproportional weniger Pkw-Verkehr, und insgesamt viel mehr Qualität als Quantität.

Einige Denkansätze für Teilaspekte sollen dazu noch angesprochen werden - als Anregung zum Weiterdenken und zur Demonstration der krassesten Widersprüche.

Beispiel Stadtverkehr: Integrierter Autoverkehr, konkurrenzfreie Autotechnik, urbane Vernetzung im ÖPV

Das System Stadt beruht auf Erreichbarkeit durch Nähe - also urbane Dichte - für Fußgänger-, Rad- und Öffentlichen Verkehr. Nochmals: jedes Auseinanderrücken der Stadt für das Auto senkt die Erreichbarkeiten. Das heißt für den Stadtverkehr: überlagernd genutzte (Misch-)Flächen, z.B. Wohnstraßen, Radstreifen als Angebotsstreifen ohne Zusatzfläche, Aufstellspuren vor Knoten in Pkw-Breite, gemeinsame MIV und ÖV-Führung bei Telematik-Vorrang. Das heißt keine oberirdischen Stellplatzangebote, sondern Tiefgaragen entsprechend der Nachfrage zu echten Preisen. Das heißt geringe Geschwindigkeiten, Beschleunigungen und Motordrehzahlen durch Autotechnik und Verbote für größte Sicherheit und innerörtlichen Umweltschutz. Schließlich heißt es höchst komfortablen Öffentlichen Verkehr zwischen allen Haltepunkten, deren städtische Dichte und Mischung für hohe Fahrgastzahlen und damit die Bezahlung dieses Angebotes sorgen. Diese "Städtenetze" bieten ungleich mehr Wahlfreiheiten als die Auto-Anbindung disperser Standorte an die urbanen Bereiche. Letztere wird geringer, teurer und seltener werden müssen, folgt man der Logik von Ökonomie und Ökologie gleichermaßen.

Schließlich sei die Freiflächensicherung in dichten Stadtteilen erwähnt: nur sie - mit konsequenter Umfeldverbesserung und Verkehrsberuhigung - garantiert die Erreichbarkeiten und den attraktiven Aufenthalt in der Nähe, und damit die Legitimation, die sich selbst verstärkende Nachfrage nach MIV strengen Regeln zu unterstellen.

Beispiel Fernverkehr: Anpassungsprogramm Fernstraßen und Flughäfen, nüchterne Betrachtung des Güterverkehrs

Auch außerhalb der Städte sollte die Planung den durch die bestehenden Marktverfälschungen überhöhten Aufwand allmählich abbauen.

Dabei würden sich sehr bald Tempolimits, eine drastische Reduzierung der Straßenbaustandards, und ein Moratorium für den Autobahnbau einstellen. Alle Aspekte, die durch Hochgeschwindigkeitsideologie und -konkurrenz bedingt sind, würden wegen ihrer abnormen Kostenanteile wegfallen. Es bliebe ein höchst ökonomischer Autofernverkehr mit höchster Nutzen-Kosten-Relation für alle notwendigen Güter- und Personenverkehre. (Die Notwendigkeit nicht definiert von Planungsbeamten, sondern am Markt ermittelt durch die Bereitschaft, die tatsächlichen Kosten zu bezahlen!)

Das Prinzip auf den Luftverkehr angewandt - also einschließlich der tatsächlichen Kosten für Flugzeuge, Betriebsmittel und vor allem die Flughäfen - würde die Nachfrage nach Starts und Landungen drastisch, nach Flugkilometern erheblich verringern: wir brauchten dann vielleicht noch sieben Flughäfen in Deutschland. Diese wären im wesentlichen Umsteigehaltestellen zur Schiene - als systemähnliches Massenverkehrsmittel. Und der Luftverkehr beschränkte sich auf seine Stärke: den internationalen und interkontinentalen Verkehr. (Hier greift auch nicht eine militärische Begründung für extreme Gemeinkosten: alle Kriege dieses Jahrhunderts zeigten die strategische Überschätzung des Flugzeugs!)

Anders die Diskussion beim Güterverkehr. Zwar würde auch die Zurechnung vor allem des Straßen Verschleißes zu Verteuerungen, besserer Logistik, mehr Gerechtigkeit und ökonomisch sinnvollen Technikänderungen führen (Achslasten!). Aber die häufig konstatierte Preiselastizität des Straßengütersystems spricht für seinen hohen Stellenwert auch in Verkehrssystemen mit strengen ökonomischen und ökologischen Kriterien. Lkw sind eben bereits relativ große Behälter, auf ökonomischen Einsatz optimiert - und damit wohl nicht breit verzichtbar oder ersetzbar. Zwar gilt das Schlagwort "Güter auf die Bahn" für viele Fälle. Oft aber würde es auch zu Verteuerungen ohne ökologische Vorteile führen.

Übrigens zeigt gerade das Beispiel Lkw, daß geringe Beschleunigungen und rigide Tempolimits höchst effektive Transportsysteme und weltmarktfähige Fahrzeugentwicklungen zur Folge haben. Dieses Konzept auch für Personenverkehr auf der Autobahn ist dringend überfällig.

Zusammenfassende Schlußfolgerung

Die quasi-sozialistischen Marktbedingungen des Verkehrsverhaltens führen zu hohen und qualitativ schiefen Übernachfragen, bei denen die marginalen Erträge an Mobilität zu höchsten Grenzkosten erreicht werden. Diese Kosten belasten Bürger und Volkswirtschaft inzwischen bis hin zu lokalen Zusammenbrüchen. Ein Abbau aller Verkehrssubventionen, sowie eine Ordnungs- und Fiskalpolitik, die unnötigen Aufwand für unproduktive Systemkonkurrenzen abregelt, ist gesamtwirtschaftlich dringend überfällig.

Die Verkehrsplanung muß neue Systembausteine für derartige Veränderungen konzipieren und kalibrieren. Diese werden erheblich anders aussehen als die derzeitigen: von "kleineren" und "langsameren" Straßenbaustandards über das Bau- und Planungsrecht bis zu den Zulassungsvorschriften für Fahrzeuge. Maßstab dieser Konzepte ist dann nicht das Abfragen der Interessen und Meinungen von Teilkollektiven oder künstlich verfälschter Nachfragen, sondern naturwissenschaftlich begründete und begründbare Wirkungsgradüberlegungen. Damit würden die Fragen nach Verlagerung oder Verminderung von Verkehren in den Hintergrund treten, zugunsten der klassischen Ingenieuraufgabe der Optimierung in technischer, ökonomischer und ökologischer Hinsicht.

Kaum eine Disziplin bietet soviele Potentiale zur Versöhnung von Ökonomie und Ökologie wie die Verkehrsplanung - wenn sie weder ihre Einbindung in alle Lebenszusammenhänge, noch ihre technisch-wirtschaftlichen Wurzeln vergißt. Kaum eine Disziplin ist aber auch so weit entfernt von ökonomisch und ökologisch schlüssigen Konzepten.




Manuskript

Kassel Oktober 1996