Sozialräumliche Entwicklung-

Global, regional, transurban, lokal

Die Überwindung von Zeit und Raum scheint ein ähnlich starkes Anliegen zu sein wie die Geborgenheit in vertrautem Territorium. In beidem suchen wir soziale Beziehungen im umfassenden Sinn. Im folgenden sollen einige Betrachtungen angestellt werden, wie diese Ziele rationaler und konfliktfreier koordiniert werden könnten. Dabei sollen keine sozialromantischen Wunschvorstellungen, sondern vielmehr technisch-wirtschaftliche Bedingungen beleuchtet werden. Dabei wird sich zeigen, daß nicht der technische Fortschritt an sich, sondern vor allem die Verschleierung seiner Lasten und Kosten Hauptursache der Fehlsteuerungen ist.

1. Durch Verschleierung von Verkehrskosten und -lasten haben sich überteuerte und widersprüchliche räumliche Verhaltensmuster gebildet

Die Kosten des Verkehrs sind in unserer gesellschaftlichen Rechtsordnung nicht marktwirtschaftlich nach Verursachung, Angebot und Nachfrage zugeordnet, sondern quasi-sozialistisch durch vielfache Eingriffe verändert. Manche Kosten werden gar nicht oder viel später bezahlt (z.B. die meisten Umweltkosten); manche wurden vor Jahren vorausgezahlt (z.B. das Bundesfernstraßennetz); manche werden zu grob pauschaliert (z.B. urbane und disperse Haltestellen oder Normal- und Hochgeschwindigkeitsanlagen). Und ganz viele werden von anderen Teilkollektiven bezahlt als genutzt; die wichtigsten sind die Krankenkassenmitglieder, die die schuldigen Verkehrs-"opfer" mitbezahlen und die allgemeinen Steuerzahler: am deutlichsten bei Flughäfen, Parkplätzen, Fernstraßen, Verkehrsverwaltung und öffentlichem Verkehr.

Da so der Nutzer nur Bruchteile der Kosten spürt, entscheidet er ständig für zuviel Verkehr. Gerade in den Grenzbereichen ist aber Zusatzmobilität extrem teuer. So werden unsere Verkehrssysteme volkswirtschaftlich unsinnig aufgeblasen und gefährden unsere ökonomische Basis. Und zu allem Überfluß wird die so fälschlich erhöhte Nachfrage als weiteres Wachstumsargument mißbraucht.

Das Gefühl für Nähe wird besonders durch das Auto zerstört: seine extrem variable Geschwindigkeit verschleiert den Zusammenhang von Zeit und Raum; die Nahbereichsschäden machen die Feme verlockender; schließlich wird die städtische Heimat zunehmend in Frage gestellt, denn Dichte, Mischung und Öffentlichkeit der Straße sind der Autonachfrage ein Hindernis.

Besonders brisant wird das Bedürfnis, ein- oder mehrmals täglich regional zwischen Städtischem und Ländlichem zu wechseln: ein auch durch Verkehrsschäden erzeugter Wunsch, dessen Erfüllung beim Parken, beim Fahren und beim ÖV die größten Kosten Verzerrungen beinhaltet. (Und der übrigens keineswegs die historische Kontinuität der Stadt-Umland-Beziehung widerspiegelt!)

2. Unsere sozialräumliche Identifikation ist vielfach vernetzt und entspricht nicht landläufigen Zentrenhierachien

In allen Lebensbereichen - Arbeit und Freizeit, Bildung und Kultur - finden wir höchste Pluralität, Spezialisierung, Differenzierung und Verknüpfung. Alle Individuen und Einrichtungen reklamieren zu Recht ihre eigene sektorale Zentralität: nämlich Bedeutung für viele Andere und einen großen Raum. Gartencenter und Zentralbibliothek, Eisschnellaufzentrum und Zentrum der Druckmaschinenindustrie sind heute die Wirklichkeiten. Abgebildet im Raum bleibt nichts, was alle Zentrum nennen würden, nirgendwohin führen "Alle Wege".

Frühere Zentren - Dom, Schloß, Rathaus - waren Orte gemeinsamen Zelebrierens aller Bürger, meist der Religion oder der Herrschaft. Mäßig erfolgreich versuchen heute Kaufhaus und Bank diesen Platz einzunehmen. Aber die Hierarchie "unseres" Unter-, Haupt- und Oberzentrums gibt es kaum noch. Wenn alles Zentrum ist, ist nichts mehr Zentrum. Und die Verknüpfungen sind nicht mehr baumförmig-eindeutig, sondern vieldeutig netzförmig.

Aber Zentrumslosigkeit heißt nicht Stadtlosigkeit, und Raumüberwindung heißt nicht Raumlosigkeit: die meisten Individuen haben ihre eigenen identifikations- und sozialräumlichen Bezüge; und gerade deren Verflechtung fordert Dichte, Mischung und Öffentlichkeit der Straßenräume - die wesentlichen konstituierenden Elemente der Urbanität.

3. Technisch-wirtschaftliche Analysen bevorzugen städtische und transurbane Verkehre vor regionalen Stadt-Umland-Verkehren

Wenn sich die sozialräumlichen Beziehungen in ökonomisch und ökologisch verträglichem Verkehr darstellen sollen, müssen sie der technisch-wirtschaftlichen Logik der Verkehrssysteme folgen. Dazu müssen Aufwand und Knappheiten mühsam aus einem Nebel interessensbedingt falscher Preise herausgefiltert werden. Die wichtigsten Parameter sind dabei Platz- und Energiebedarf, Behältergröße und Auslastung, sowie Entfernung, Geschwindigkeit und Anzahl der Knoten.

Damit schneiden Verknüpfungen innerhalb dichter und (wegen besserer Auslastung) gemischter Einheiten zu Fuß, zu Rad, und mit dem ÖV dann am besten ab, wenn sie nicht für fahrende oder stehende Autos auseinanderrücken. Auch die Schienenverbindung zwischen diesen Städten bleibt noch effizient, wenn sie keine Zwischenknoten hat. Sogar das Flugzeug ist - als gut ausgebuchtes Massenverkehrsmittel - über europäische und interkontinentale Entfernungen als Stadtverknüpfung möglich. (Auch wenn bei wahrer Zurechnung der Infrastruktur- und Basiskosten sowie der Umweltkosten wegen des Übergewichts des Startvorgangs Mittelstrecken und Provinzflughäfen prohibitiv teuer werden müßten).

Auch die Autovernetzung zwischen dispersen Standorten scheint denkbar, da der Flächenverbrauch des Autos hier Distanzen nicht vergrößert. Bedingung wäre allerdings eine Optimierung auf Tempolimits und bessere Auslastung durch Logistik und Preisanreize. Don hätten autoaffine Nutzungen ihren Platz - ohne hohe Ansprüche auf Gesamterreichbarkeit.

Sehr teuer aber würde das Auto in der Stadt - es müßte nämlich seinen Platzbedarf bezahlen. Und ebenso teuer würden Bus und Bahn in der lockeren Siedlung, denn dort bezahlen nur wenig Aus- und Einsteiger den Halt samt Zeitverlust. Der Stadt-Umland-Verkehr wird damit der teuerste Verkehr überhaupt; übrigens eine höchst heilsame marktkonforme Korrektur, denn er würde damit auch seltener, und - durch entsprechende Standortentscheidungen für mehr Urbanität - auch weniger notwendig, weniger und vielleicht in anderen Zeitrhythmen nachgefragt.

Diese Logik beendet die Subvention der Streusiedlung; sie disqualifiziert aber nicht den ländlichen Raum: kompakte, gemischte Dörfer und Kleinstädte finden sich deutlich besser eingebunden als bisher.

4. Telematik verführt durch Kostenverfälschung zu sozialräumlicher Desintegration. Telematik ist optimal für regionale Verknüpfungen

Auch bei der Informationsübertragung werden zunehmend Kosten verschleiert. Vorhandene Strom- und Bahnnetze werden nicht spezifisch zugerechnet; Überseeentfernungen werden (z.B. im Internet) zu Lasten von Nahverbindungen pauschaliert, obwohl Seekabel und Satelliten Kosten und Knappheiten wären. Nah- und Fernbereiche werden kaum nach Teilnehmerumgriff unterteilt - wie die Kosten verlangen würden.

Die Anbieterinteressen liegen in langfristiger Abhängigkeit und kurzfristiger Marktplazierung der schmalbandigen Telefonderivatdienste. Sie stoßen damit auf breite Bereitschaft: gern folgt man - wie beim Verkehr - der Verheißung, man könne sich auch noch durch Telematik ohne Reue aus der Verantwortung für die Konflikte befreien, die die bisherigen sozialräumlichen Bindungen immer wieder bewußt machen. Und die Quasi-Zeitgleichheit macht die falsche Behauptung der Entfemungsneutralität besonders glaubwürdig.

Die Abschätzung der zukünftigen technisch-wirtschaftlichen Bedingungen ist, weil technisch noch viel offener als im Verkehrsbereich, zwangsläufig spekulativ. Plausibel ist die Vermutung, daß Schmalbanddienste für die Wirtschaft ausreichend sind; daß aber erst die Faszination hoch auflösender, bewegter Breitbandbilder ernsthaft in das Gefüge sozialräumlicher Beziehungen eingreifen wird. Dann aber wären Randbedingungen:

  • im Bereich weniger Teilnehmer ("die letzten 4 Nummern") ist auch Breitband extrem billig, da nur die Basisinvestition des Anschlusses an sich anfällt.
  • im Bereich nationaler und internationaler Entfernungen sind nur Daten günstig; Breitbandfilme müßten wegen hoher Leitungskosten sehr teuer werden.
  • im Bereich regionaler Verflechtung wird auch Breitband kostengünstig: kurze Leitungswege haben weder Verteilprobleme in der Dispersion, noch Flächenprobleme in der Verdichtung.

Damit würde fortgeschrittene Telematik das ideale Mittel zur Stadt-Umland-Verknüpfung - zur Stützung deutlich verringerter, nicht weniger intensiver, aber in ganz anderen zeitlichen Mustern organisierter Stadt-Umland-Verkehre.

5. Sozialraum Städtenetze, globale Wirtschaft, Region im Wandel von Verkehr und Telematik

Die Menschen werden ihre sozialen Beziehungen immer an Räume binden. Wenn Verkehr und Telematik mit ihren Kosten und Lasten weiter verschleiert werden, bleiben Regionalisierung und Globalisierung unkalkulierbare Leerformeln. Wenn es uns gelingt, Verkehr und Telematik der Rationalität von Ökonomie und Ökologie zu unterwerfen, werden sich wohl die folgenden Hauptlinien einstellen:

  • Hauptaktionsräume werden hochattraktive Stadtgebiete - intraurban und interurban mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Hochleistungstelematik effektiv und billig vernetzt, mit wenig Autoverkehr.
  • Waren und Dienstleistungen werden weltweit bearbeitet. Die europäische Angleichung macht ausgleichende Verkehre seltener. Weltweite Daten- und Warenströme nehmen zu.
  • Die Stadt-Umland-Beziehungen verschieben sich zu Wochen- oder Monatsrhythmen; Telematik kann hier hochattraktive Ergänzungen oder Substitute anbieten.

Das spiegelt weder traditionelle räumliche Verhaltensmuster wider, noch soll eine sozialromantische Wunschvorstellung propagiert werden. Vielmehr wird deutlich, daß ein Zukunftskonzept Ökologie und Ökonomie, Region und Europa, Reurbanisierung und Neue Techniken vereinbaren kann, wenn Vorurteile und Besitzstände nicht Gemeinschaftshandeln verhindern. Die Stadt der Einzelinvestoren führt zu "Edge City"; sie ist ein hochparasitärer Tribut an die Illusion des Autos, mit geringsten Erreichbarkeiten. Den Reichtum der Erreichbarkeit in sozialräumlichen Gefügen bietet das europäische Stadtmodell.