Stadtvernetzung und Autoland -

Neue Leitbilder für Siedlung und Region, Verkehr und Telematik

Stadt- und Raumplaner - so heißt es - müßten die vielbeklagte Un-Stadt als Sachzwang, Folge und Forderung des technischen und ökonomischen Fortschritts akzeptieren.

Tatsächlich vernichten die Techniken der Raumüberwindung den Raum keineswegs: Dies scheint nur so, weil eine unselige Koalition von Verkehrsanbietern und -nachfragern über 100 Jahre zunehmend Preise, Kosten und Lasten verfälschte. Tatsächlich haben wir dadurch eine gewaltige Übernachfrage gerade nach den teuersten und schädlichsten Verkehren: Verkehre die also überflüssig sind; nicht weil Planerideologie dies möchte, sondern weil sie nur dann nachgefragt werden, wenn ihre Kosten andere treffen. Die Summe dieser Kosten belastet die Gesellschaft gesamtwirtschaftlich über die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit und allein zur Freude der Entfernungsbranchen.

Wenn Stadt- und Raumplanung es als Aufgabe begreifen, die Neuordnung von Siedlung, Verkehr und Telematik so zu planen, wie sie technisch-ökonomischer Logik entspricht, wird sie zu überraschenden Ergebnissen kommen: Urbanität ist dann nicht Ergebnis sentimentaler Wünsche, sondern Folge ökonomischen Kalküls für effiziente Erreichbarkeit unter marktwirtschaftlichen Bedingungen. Und die Unstadt, Zwischenstadt, Edge-City, wird nur für wenige unvermeidbare Sonderfunktionen eine attraktive Investition bleiben.

Desurbanisierung und Globalisierung:

Übermaß durch falsche Lasten- und Kostenzurechnung bei Verkehr und Telematik

Keine Frage: Sowohl die regionale als auch die weltweite Spezialisierung bereichert und differenziert nahezu alle Lebensbedingungen. Und Verkehr und Telematik sind unabdingbar für diese Verbesserungen. Entsprechend fordern alle Akteure - privat wie geschäftlich - Ausweitungen und Preissenkungen dieser Systeme. Oberflächlich statt effizienter zu werden, geht das aber nur durch zeitliche, räumliche und sachliche Verschiebungen und Verschleierungen der Kosten und Lasten in gewaltigem Maßstab - oft auf dem Umweg über die öffentlichen Haushalte. Das betrifft erst einmal direkte, aber auch soziale und ökologische Kosten und Lasten. Als Beispiele seien genannt die Verzinsung und Abschreibung der Erstellungskosten des Bundesfernstraßennetzes und der Verkehrsflughäfen. Allein diese in jeder Betriebswirtschaft selbstverständliche Rechnung würde die Preise dieser Verkehrsträger verdoppeln. Dazu kommen ÖV-Subventionen, Verschenkung öffentlicher Straßenparkplätze, Dumping-Preise der Flugzeugverkäufer, vielfache Umweltkosten, und vieles mehr.

Wenn aber die Transportpreise nur einen Bruchteil der Kosten ausmachen (ein Drittel bis ein Fünftel ist eine plausibel begründbare Schätzung), ist der Umkehrschluß gerechtfertigt, daß wir zuviel, zu teuer und zu schädlich transportieren. Würden wir die ja weitgehend konsensfähige Meßlatte Marktwirtschaft im Verkehr ansetzen, würden wir sicher ein Drittel weniger Transport und Verkehr haben, und die Hälfte der Kosten und Lasten sparen. Differenziert man weiter, gewinnt die Nähe; und es werden auch einige weitere Verkehrsklischees relativiert.

Ähnliche Kostenverschleierungen zugunsten der Entfernung finden sich übrigens in den Netz-, Betriebs- und Kostenstrukturen der im Aufbau befindlichen Telematikdienste. Auch hier öffnet der Fortschritt - z.B. die digitalen Übertragungsmöglichkeiten – phantastische Chancen. Und auch hier findet man technisch-wirtschaftlich nicht vertretbare Preisverfälschungen und eine Nutzung im Übermaß. Als ein Beispiel von vielen sei die Preispauschalierung im Internet zu Lasten der Nähe genannt - denn natürlich ist es ein Kostenunterschied, und damit eine im Grunde unzulässige Quersubventionierung, ob ich nur regional eine Leitung benutze, oder ob ich dazu interkontinental ein Seekabel oder einen Satellit mitverwende.

Auch hier findet sich dasselbe Schema: Ein Übermaß bei der Benutzung distanzüberwindender Techniken legt ein für alle Akteure mehr Siedlungsdispersion, Monofunktionalität und weiträumigere (gar erdumspannende) Aktivitäten nahe, als ökonomisch sinnvoll, technisch angemessen, sowie außerdem auch ökologisch, kulturell und sozial verträglich wäre.

Natürlich kann sich keine Raumordnung oder Bauleitplanung gegen ein so verfälschtes Markt-System von Verkehr und Telematik durchsetzen. Eine Korrektur dieser verfälschten Randbedingungen ist aber dringend erforderlich - und dann wird die Schlüssigkeit der Forderungen der räumlichen Planung sofort deutlich. Allerdings mit Differenzierungen, die auch in den heute diskutierten alternativen Konzepten nicht immer unumstritten sind. Davon handeln die folgenden Kapitel.

Größte Kostenverzerrung im Stadt-Umland-Personenverkehr

Fußgänger-, Rad und Öffentlicher Verkehr bieten innerhalb und zwischen urbanen Einheiten beste Erreichbarkeiten, und jedes Auseinanderrücken für Autofahrbahnen oder Autostellplätze verringert diese Qualität. Innerhalb und zwischen sehr dispersen Standorten ist nur das Auto effizient - ggf. mit Modifizierungen. Am problematischsten sind aber die Kostenverzerrungen im Personenverkehr zwischen dispersen Gebieten und verdichteten andererseits, denn die schlechtesten Wirkungsgrade ergeben sich dann, wenn man versucht, große Sammelfahrzeuge des ÖPV für nur wenige Fahrgäste fahren und halten zu lassen; oder wenn man versucht, das Auto mit seiner Unverträglichkeit in die Verdichtung zu lassen. Die Tatsache, daß gerade letztere Verkehrsbeziehung massenhaft und täglich nachgefragt wird, ist geradezu ein Zeichen für die hier besonders große „Subventionierung" oder auch „Lastenexternalisierung". Die anderen Wurzeln und Ziele dieser Nachfrage sollen im Folgenden hinterfragt werden.

Zentrumsbegriff und Stadt-Umland-Beziehung - unhistorisch, unzeitgemäß und planerisch reduzierbar

Höchste Einzugsbereiche verlangen inzwischen nicht nur einige wenige Dienstleistungs-"zentren". Vielmehr wird der Zentrumsbegriff zu Recht von Eislauf-, Garten-, Schul- und allen möglichen "Centern" verwendet. Und tatsächlich geht die Spezialisierung so weit, daß selbst viele Einzelpersonen riesige private und geschäftliche Einzugsbereiche haben. Wenn aber alles Zentrum ist, ist definitionsgemäß nichts mehr Zentrum - vor allem, weil die Nutzergruppen unterschiedlich zusammengesetzt sind. Zentralität als besondere Eigenschaft von Orten mit räumlich definierten Einzugsbereichen verschwindet damit; nötig sind hohe und in alle Richtungen und Distanzen vernetzte Erreichbarkeiten für alle Standorte.

Auch mehrheitlich anerkannte Bedeutungsüberschüsse hat eine plurale Gesellschaft nicht mehr. Weder Kaufhaus, noch Museum, noch Büroturm konnten den Platz von Dom, Schloß oder Rathaus im Herzen der Bürger besetzen. Ob in Zukunft eine neue Mitte entstehen wird oder entstehen sollte, scheint fraglich. Zumal auch das "historische Stadtzentrum" gar kein Stadtzentrum war: es war die Stadt selbst - innen und außen netzförmig und nicht baumförmig verknüpft und vielgestaltig gemischt statt monoton.

Wenn es kein Zentrum, keine Mitte gibt, gibt es auch keine Peripherie, keinen Rand. Schon gar nicht kann man alt/neu, historisch/modern, innen/außen sowie unökonomisch/ökonomisch mit Mitte/Rand vermischen und verwechseln. Es bleibt das Ziel, diversifizierte, arbeitsteilige Standorte mit vieldeutigen Beziehungen differenziert, d.h. gitterförmig und nicht sternförmig, zu verknüpfen. Urban kann man das nennen, wenn durch Dichte und Mischung für hocheffiziente Erreichbarkeiten entstehen; suburbane Einheiten sind untereinander ebenfalls, entsprechend autoaffin, hochvernetzt. Die "Zentrumsanbindung" dagegen ist immer uneffizient und kann in Zukunft an Bedeutung verlieren. Dies löst durchaus logisch die Stadt-(Um-)Land-Frage: Auch und gerade bei Bereinigung der Transportkosten bleiben die klassischen Ver- und Entsorgungsbeziehungen; diese sind aber nur ein verschwindend geringer Teil der Stadt-Umland-Verkehre. Ändern wird sich nur die massenhafte Tagespendelei zwischen Stadt und Umland. Diese ist aber kein sozialhistorisch gewachsenes Grundbedürfnis. Vielmehr ist sie Surrogat einiger Attitüden zu Ende gehender Herrschaftsepochen: antike römische Generäle, französische Adelige und englische Bankiers zogen sich mit ihrer Beute aufs Land zurück. Und sie verabschiedeten sich damit aus der Teilnahme an Wirtschaft und Fortschritt.

Der europäische Citoyen dagegen lebte immer in den Städten, reiste auch zwischen ihnen - zwischen Sparta und Athen, Rom und Karthago, Bamberg und Aachen, Venedig und Sevilla, Paris und St. Petersburg. Dieser Verbund war Garant des Fortschritts, und nur ganz gelegentlich wurde die ländliche Idylle beschworen oder gar (übrigens einigermaßen verständnislos!) besucht.

Nimmt man den Stadt-Umland-Verkehren ihre hochparasitäre Subventionierung, so werden sie sich deutlich verringern und vielleicht im Wochen- und Jahresablauf in ganz anderen Zeitrhythmen nachgefragt werden. Und ihre realen Gründe - Defizite für Ruhe, Freizeit, Kinder - werden sich innerhalb der urbanen Vernetzung mit ein wenig städtebaulicher Phantasie leicht und viel billiger lösen lassen - zumal ja dann die Stadt-Umland Verkehre viel weniger stören.

Diese Thesen sind übrigens kein Angriff auf den - wie immer definierten - ländlichen Raum: Zum Einen existiert das Argument nicht mehr, eine agrarisch geprägte Landbevölkerung müsse Kulturdefizite ausgleichen. Zum zweiten umfaßt die Urbanität im hier gebrauchten Sinn dörfliche wie kleinstädtische und großstädtische Bereiche, wie auch die Suburbanität in größten wie in kleinsten Gemeinden zu finden ist. Außerdem wird sich zeigen, daß auch die Suburbanität für bestimmte Lebens- und Wirtschaftsformen richtig und akzeptabel ist - auch unter der Maxime ökologischer Verkehrsorganisation.

Siedlungsleitbild Teil 1 - Stadtvernetzung:

Dichte, gemischte Siedlungseinheiten, höchste Wahlfreiheiten

Stadtvernetzung meint vor allem kleine, siedlungsstrukturelle Einheiten und weniger großmaßstäbliche raumstrukturelle Aktivitäten. Stadtvernetzung folgt - noch einmal - nicht germanischen Träumen von mediterraner Urbanität, sondern ökonomischem Kalkül höchster Erreichbarkeiten mit geringstem Aufwand: Dichte ist notwendig für ÖV-Fahrgäste, Mischung für höchste Auslastung über Tag, Woche und Jahr, und Öffentlichkeit der Straßennetze sichert das Erreichen nahgelegener Angebote. Ohne den Ballast der Autos aus der Dispersion, ohne den Ballast der allgemein pauschalierten Autokosten, und ohne den Ballast der Kosten der Massenverkehrsmittel in die Dispersion können urbane ÖV-Verknüpfungen nah und fern extrem billig und extrem komfortabel sein; ihre Kosten lassen sich dann von den Nutzern erwirtschaften. Diese Vernetzung sichert den Reichtum der Erreichbarkeiten innerhalb und zwischen den urbanen Bereichen.

Gerade ohne die Fokussierung - z.B. des Handels - auf die suburbane Nachbarschaft muß man um die Zukunft des Städtischen nicht fürchten - denn in der Tat wird die suburbane Beziehung seltener, teurer und mühsamer werden - entsprechend nämlich dem tatsächlichen Aufwand. Gleichzeitig sichert eine harte planungsrechtliche Abgrenzung stadtnahe Frei- und Erholungsflächen - zur Vermeidung von Zwangsmobilitäten im Freizeitsektor.

Notwendige Restautoverkehre werden durch entsprechende Kostendifferenzierung nur selten und sanft stattfinden; wer in der Urbanität trotzdem private Autos vorhalten möchte, mag sich unter der Stadt zu Marktpreisen Stauraum dafür schaffen (also Tiefgaragen bauen). Übrigens wird wohl gerade die materielle Versorgung größtenteils weiterhin ohne sonderliche Feierlichkeit mit Autos erfolgen - und zwar ohne Gefahr für die Stadt, auch teilweise in der Dispersion, und verträglich durch hochdifferenzierte Logistik.

So organisierte Stadtvernetzungen dürften hochleistungs- und hochlebensfähig sein; die Gefahr, daß die Menschen mit überwältigender Mehrheit allein Autoland wählen, besteht kaum, wenn Stadterreichbarkeit aus Autoland, Stadtzerstörung von Autoland und Geldtransfer nach Autoland deutlich geringer werden.

Siedlungsleitbild Teil 2 - Autoland:

Disperse Siedlung für menschenarme Funktionen, geringe Erreichbarkeiten

Dennoch sollte und wird Autoland als disperse Struktur daneben existieren und gewählt werden. Sein Erscheinungsbild kennen wir aus der Anschauung üblicher Gewerbe- oder Einfamilienhausgebiete, seine Theorie findet sich in Bauordnungen und Straßenbaurichtlinien. Seine Verkehrsinfrastruktur sorgt dafür, daß die Erreichbarkeiten dort eher gering sind: Da Fläche dort schadlos verfügbar ist, ist die Autoerreichbarkeit anderer Teile von Autoland zwar recht gut und preiswert. Schlecht aber sind Naherreichbarkeiten zu Fuß und mit dem Rad, da Dichte und Nähe wegen zuviel Fahren und Parken fehlen. ÖV bleibt mangels zahlender Fahrgäste je Haltestelle nur im sozialen Mindesttakt vertretbar. Und die Stadt, die naheliegende urbane Einheit, ist ebenfalls nur schlecht und teuer angebunden: die fußläufige Stadtnähe ist durch deren Erholungsflächen belegt; der "Stadt"-Bus kann in der Dispersion nur selten (weil teuer) halten; das Auto wird in der Stadt teuer; und die P & R-Bemühungen scheitern ebenfalls an der Kosten-Flächen-Schere. Insgesamt bleiben Autoland damit drastisch geringere Wahlmöglichkeiten und Erreichbarkeiten als der Stadtvernetzung.

Die innere Verknüpfung von Autoland könnte durch eine Ökonomisierung und Ökologisierung des Autosystems selbst verbessert werden: Mehr Paratransit (PKW-Belegung, Mitfahrringe etc.) sowie Kostenhalbierung bei Autos und Straßen durch Tempolimits und Standardreduzierung, machen Autoland preiswerter, verträglicher und mobiler - auch wenn alle Aufwendungen und Schäden kostenwahr zugerechnet werden. Nicht verbesserbar bleiben die Erreichbarkeitsdefizite aufgrund geringer Dichte und geringer ÖV-Affinität.

Tatsächlich dürfte Autoland so weiter existieren: Für Personen, Lebensstile oder Lebensabschnitte, bei denen physische Mobilität weniger wichtig ist, die gern zu Hause bleiben oder gern viel Auto fahren, schließlich für platzgreifende Funktionen wie Naturerlebnis und Flächensport, wie Rohstoff- und Abfallumschlag, wie automatische Lager und Fabriken.

Die Verknüpfung von Stadtnetz und Autoland wird dabei seltener, aber gezielter und in anderen Zeitmustern als heute stattfinden. Wenn sich dabei die Nachfrage nach Grundstücken und Gebäuden verschiebt, so ist das geradezu erwünscht - als Zeichen einer Wende im Suburbanisierungsprozess. Wenn andererseits einige Funktionen dennoch im Autoland verbleiben, leiden sie nicht unter dem Stau des künstlich vergrößerten Autoverkehrs. Gleichzeitig hat es die Reurbanisierung leichter: sie erspart sich den Widerstand der wirkich autoaffinen Lebensweisen gegen MIV-Einschränkungen.

Stadtvernetzung und Autoland verlangen neue Differenzierung bei Regional-, Stadt- und Verkehrsplanung

Das Ziel "Effizienter Verkehr" als unverzichtbares Merkmal nachhaltiger Siedlungsentwicklung verlangt die Umsetzung dieser Gedanken in Planung und Wirklichkeit. Bisher versuchte sich die Planung mit allgemeiner Urbanisierung - und mußte der allgemeinen Desurbanisierung zusehen. Stattdessen kann die Planung nun zunächst aufteilen zwischen zukünftigen städtischen und suburbanen Bereichen. Eine Körnung von 0,5 - 4 qkm Bereichsgröße umfaßt sowohl kompakte Dörfer, wie Großstadtquartiere. Im zweiten Schritt muß sie für beide Varianten die jeweilige Anpassung von Verkehr und Siedlung an dieses Ziel betreiben. Im folgenden seien beispielhaft einige Impulse genannt, welche Wirkungen von den verschiedenen Planungsbereichen verursacht werden könnten:

- Die Regionalplanung kann städtebauliche und verkehrliche Standards definieren und dann kooperativ mit den Kommunen vereinbaren und festlegen, welche Bereiche urban, und welche suburban werden sollen. Dabei bleibt die kommunale Hoheit unangetastet, die Folgen der Veränderung der Verkehrssysteme sorgen für das Interesse der Kommunen, die Vereinbarungen einzuhalten.

- Die Bauleitplanung sichert in Städtenetzen neue und renovierte Formen intelligenter Dichte und Mischung mit Freiflächensicherung, stark reduzierten Autoverkehren sowie integriertem ÖV. Gleichzeitig bewahrt sie in Autoland die geringen Dichten.

- Die MIV-Planung nutzt in urbanen Bereichen das gesamte Repertoire der Verkehrsberuhigung, Verkehrsminderung, Stellplatzbeschränkung und flächenhaften Dämpfung. In Autoland dagegen müssen hohe Verkehrsmengen abwickelbar sein; dort können nur die aus ökologischen und ökonomischen Gründen notwendigen Geschwindigkeitsminderungen realisiert werden - ohne Mengeneinschränkungen beim Fahren und Parken.

- Die ÖPNV-Planung unterscheidet ein Intra- und interurbanes Komfortangebot für die Stadtvernetzung sowie ein Basisangebot in Autoland. Linien und Knoten sind nicht sternförmig auf "Zentren" gerichtet, sondern netzförmig, gebietsübergreifend, und städtebaulich integriert.

Zwangsläufig ergeben sich im Verkehrssystem Punkte unterschiedlicher Erreichbarkeit. Dort werden sich - von der Bauleitplanung in Dichte und Mischung festgelegt - die Aktivitäten und Einrichtungen ansiedeln, die den entsprechenden Einzugsbereich wünschen. Maßgeblich ist das Verkehrssystem, und erst sekundär die Art der Nutzung. Der Begriff Zentrum ist dafür eigentlich mißverständlich, und tatsächlich auch nicht erforderlich; der Begriff des städtischen erhält auch ohne (weil vielfach und wechselnd definierter) "Zentralität" höchste Wichtigkeit.

Was wird aus der "Zwischenstadt"?

Die "Stadtregionen", "Zwischenstädte", die nun endlich die Aufmerksamkeit der Stadtplaner bekommen, finden durch ein derartiges Ordnungssystem besonders eindeutige Kriterien für ihre Weiterentwicklung.

Ein großer Teil der Zwischenstadt wird "Autoland" bleiben. Hier sind die Planungsaufgaben ästhetisch-raumprägend; breiten Raum wird die Ökologisierung einnehmen - von Landschaft, Bauwerken, Technischen Infrastrukturen; schließlich muß die Rücknahme der Mobilität geplant und moderiert werden, wenn die Gesamtgesellschaft nicht mehr bereit ist diese zu bezahlen; ÖV-Verringerungen und Entdichtungen sind ebenfalls besser, wenn sie planvoll ablaufen

Ein Teil der "Zwischenstadt" dagegen eignet sich durchaus zur Re-Urbanisierung und Einbindung in die Stadtvernetzung. Wachtumspotentiale sollten Dichte und Mischung ergänzen, wo bauliche Ansatzpunkte und nennenswerte ÖV-Angebote dies besonders nahelegen. Ein Musical-Center ergänzt sich dann durch Wohnungen und Büros; ein überflüssiger Stadtautobahnknoten wird zum Erschließungsnetz eines neuen Stadtteiles. Dichte, Mischung und Öffentlichkeit der Straßen - die konstituierenden Merkmale - werden dort völlig neue, phantasievollere Interpretationen europäischer Urbanität erfahren.

Telematik: ebenfalls keine Raumzerstörung, sondern planbare Neudefinition von Raumverknüpfungen

Auch bei der neuen Technik der Raumüberwindung versuchen die Manager der Telematik, die Nutzer glauben zu machen, Entfernung habe keinen Aufwand, keinen Widerstand mehr. Die Illusion ist hier noch einfacher als beim physischen Verkehr: Die Aufwendungen - z.B. die Stoff- und Energieentwertung beim Computerbau – liegen räumlich und zeitlich weit getrennt von ihrer erlebten Nutzung; und die Quasi-Gleichzeitigkeit der elektromagnetischen Signale spiegelt der menschlichen Sinneswahrnehmung vor, Zeitaufwand Null bedeute auch sonstiger Aufwand Null. Damit trifft die Informationstechnik noch stärker menschliche Träume als die Transporttechnik.

Auch wenn die Telematik-Entwicklung noch im Fluß ist, scheint doch bereits heute eine realistische Abschätzung der raumrelevanten Wechselwirkungen riskierbar. Versucht man diese nicht auf Grund magerer empirischer Daten und Analogien und jenseits kurzfristiger taktischer Angaben der Betreiber und Anbieter, so führt eine technisch-ökonomische Analyse zu einigen interessanten Schlußfolgerungen.

Der erste Komplex betrifft die schmalbandige Übertragung, die an Quelle und Ziel etwa fortgeschrittene PC-ähnliche Informationsdichten und -mengen ermöglicht, wie etwa bei einer fortgeschrittenen Internet-Nutzung erkennbar. Hier ist der Aufwand tatsächlich nur in geringerem Maße von der schieren Distanz abhängig; allerdings steigt er erheblich mit der Anzahl der zu überwindenden Schaltstellen und Knoten. Es müßten also die Kosten innerhalb eines Landkreises etwa denen eines Stadtteiles entsprechen; Kostensprünge wären dann erst bei interkontinentalen Distanzen zu verzeichnen. Schlüge sich das in Preisen nieder, würden Nahbeziehungen und ländliche Verbindungen sehr billig; die kostengünstige Glasfaseraufrüstung im nationalen und europäischen Rahmen würde auch diese Verbindungen nicht zu teuer machen; und selbst die Globalisierung privater und geschäftlicher Datenübertragung ist durch die extrem hohe Leistungskapazität dieser Systeme möglich.

Eine fortgeschrittene Telematik-Stufe wird allerdings völlig andere räumliche Folgen haben: Erst das, was früher unter dem Begriff Breitband-ISDN diskutiert wurde (und heute zwecks Marktdurchbruch der Schmalbanddienste und -Endgeräte undiskutiert bleibt), wird – so meine anthropologisch interpretierte These - massenhafte Privatverwendung finden. Der Mensch, der sich stammesgeschichtlich mit den Augen in der Welt orientiert, wird erst dem hochauflösenden, großen, zeitgleichen, bewegtem Dialogbild die Zeit widmen, die massenhafte räumliche Umorientierung zur Folge haben könnte. Die gegenteiligen empirischen Schlüsse, die Analogien aus Schmalbanddiensten ziehen, sind hier ungeeignete Beispiele; eher müßte man zum Nachweis die Faszination des Fernsehens oder neuester Generationen von Computerspielen heranziehen. Die Anwendungen gehen hier von der Kinder- und Altenüberwachungsleitung über Online-Reparaturanleitungen (die völlig neue Bau- und Haushaltstechnologien wahrscheinlich machen) bis zur ganzen Phantasie der nächsten Generation. Diese Technik aber erfordert so hohe Leitungskapazitäten, daß wieder die schiere Distanz der entscheidende Kostenfaktor wird.

Damit würde die Breitband-Informatik die zentrale Technik regionaler Verknüpfung: Zwar gibt es auch dabei gewisse Verdichtungsvorteile. Aber auch die Verbindung in die regionale Dispersion ist noch bezahlbar; und - anders als bei der Verkehrstechnik - ist selbst der Platzbedarf armdicker Glasfaserkabel noch städtisch integrierbar. Dies ist übrigens keine ferne Zukunftsmusik: Koax-verkabelte Haushalte (also z.B. ein großer Teil der städtischen gemeinnützigen Wohnanlagen!) verfügen bereits über die wichtigsten technischen Voraussetzungen und könnten mit geringer Veränderungen bereits heute in derartige Systeme vernetzt werden.

Durch regionale Telematik-Planungen sollten fortschrittliche Regionen sehr bald die Chancen nutzen, die die vielbeschworenen Informationstechniken wirklich bieten; andererseits sollte die Gesetzgebung in Bund und Ländern nicht zulassen, daß raumrelevante Unterschiede bei Telematikinfrastruktur und Telematikpreisen verschleiert werden. Sonst wird Telematik in Zukunft im Übermaß, dabei aber teuer und uneffizient zur Verfügung stehen - wie heute der Verkehr.

Effizienzrevolution für Siedlung, Verkehr und Telematik machbar

Auch wenn die (veröffentlichte) Stimmung dagegen spricht: Die europäische Stadt als Träger kulturellen Fortschritts hat schon andere Rückschläge überstanden als einige Jahrzehnte Automobilismus. Suburbanisierung ist eben nicht ausschließlich die Folge von Marktkräften und Technikfortschritten, sondern im Gegenteil, die Folge von Marktverfälschung und Verschleierung technischer Zusammenhänge. Eine Effizienzrevolution von Verkehr und Telematik im Sinne von Faktor 4 (v. Weizsäcker) bietet eine gewaltige Geld- und Qualitätsdividende einschließlich verbesserter Exportfähigkeit. Die Rhythmen von Gebäudeabschreibungen, Umnutzungen und Neuorientierung von Lebensstilen ermöglichen sehr wohl die beschriebenen Umstellungen ohne größere Bestandsentwertungen. Mit neuen sozialen Härten ist kaum zu rechnen; schließlich bietet die Gesamteinsparung an Mobilitätskosten neue Spielräume für subjektbezogene Subventionierung von Übergangshärten.

Schließlich sind Planer nicht nur ausgebildet, die Un-Stadt zu dekorieren, den Streit zwischen Un-Lösungen zu moderieren, oder zur Un-Zeit (im Kulturprogramm!) zu lamentieren. Genügend Planer sind sehr wohl in der Lage, die beschriebenen Zusammenhänge zu analysieren, quantitativ abzuschätzen, allgemeinverständlich transparent zu machen und in Zukunftskonzepte umzusetzen. Dies wird Effizienz und Nachhaltigkeit in Verkehr, Telematik und Siedlung bei Wirtschaft und Mehrheit akzeptabel und wünschenwert machen.



Manuskript

Kassel September 1997