Zeit, Geschwindigkeit, Verkehr

Bausteine einer Verkehrsreform

Hans-Henning von Winning,

veröffentlicht in: Widerspruch, Heft 36, 1998

Geschwindigkeit ist die spektakulärste Verlockung, Zeit zu gewinnen. Sie ist begeisternd, drohend und bedrohlich. Im Windschatten dieser Gefühle blüht im Verkehrswesen der Mißbrauch: Die Gewalttätigkeit von Eschede und ihr tägliches Pendant auf deutschen Autobahnen, die Mißhandlung von Städten, Landschaften und Natur, die parasitäre Verteilung von Kosten, Lasten und Nutzen des Verkehrs, schließlich die staatlich geförderte Überdimensionierung von Verkehrsanlagen, Verkehrsgeschwindigkeiten und Verkehrsvolumen sind weder Voraussetzung noch unvermeidliche Nebenwirkung von Mobilität, Demokratie und Wohlstand, sondern bedrohen sie existenziell. Kultureller, sozialer, ökologischer, und vor Allem ökonomischer Fortschritt werden massiv behindert, wenn nicht das gesamte Verkehrswesen allmählich, aber deutlich reformiert wird. Damit bekommt der kulturelle Diskurs über Geschwindigkeit konkrete Formen: Es geht um Gesetze, Verordnungen, Besitzstände und Interessen, es geht um den Wohlstand von morgen und seine Verteilung. Und es geht um die Frage, ob Politik und Innovation bei uns zu mehr fähig sind, als jeden Morgen Sonnenaufgang anzuordnen. Die folgenden Gedanken werfen einige Schlaglichter auf die Notwendigkeiten und Schwierigkeiten einer Verkehrsreform; diese Gedanken bedürfen vielfach der Präzisierung, Vertiefung und Vervollständigung.

Verkehrskostenanalyse: Nachfrage und Aufkommen durch starke Preissubventionen künstlich überhöht

Im Zeitalter des Glaubens an Geld ist die Abstimmung über den Markt weitgehend Konsens. Dem kann man zustimmen - sofern das Angebotsniveau deutlich oberhalb einer notwendigen Mindestversorgung liegt (da sind wir in allen Verkehrsbereichen) und sofern die Nutzerpreise alle Lasten decken: die direkten Kosten, die sozialen Folgekosten und schließlich die ökologischen Lasten und/oder Kosten von Energie-, Stoff- und Flächenentwertungen. Gegen Letzteres wird im Verkehr sträflich verstoßen; tatsächlich decken die Preise nur zwischen 10 und 50% der Kosten ab; die überwältigende Menge der Lasten müssen weniger am Verkehr beteiligte Mitbürger tragen: aus ihrem Vermögen, aus ihren Steuerbeiträgen von gestern, heute oder morgen, aus ihren Renten- und Krankenkassenbeiträgen.

Abb. 1 zeigt diese Zusammenhänge am Beispiel des PKW-Systems. Oft vernachlässigt, von großer Bedeutung und hier angemessen berücksichtigt sind betriebswirtschaftlich korrekte Abschreibungen und Verzinsungen sowie der riesige Altbestand an Straßen und Parkplätzen. Diese sind dann gebaut worden, als das Aufkommen an PKW-Steuern noch minimal war und "gehören" demzufolge der Allgemeinheit und nicht den Autofahrern. Ähnliche Preis-Kosten-Verfälschungen zeigen öffentliche Verkehre und Luftverkehre (s. Abb. 2).

Stichwortartig seien erwähnt die niedrige Kostendeckung von Bahn und Nahverkehrsbetrieben, die nicht angerechneten Zinsen und Abschreibungen von Flughäfen und anderer Luftverkehrsinfrastruktur sowie die diskret verdeckten Subventionierungen der Flugzeugpreise.

 

Abb.1: Kosten und Preise des Pkw-Verkehrs

 

Abb2: Verkehrskosten und -preise nach Verkehrsmitteln

Die Analyse läßt zunächst folgende Schlüsse zu:

  • Die Diskussion um Verkehrspreise kann zunächst über direkte Kosten laufen. Die umstrittenen Umweltkosten (s. z.B. Frey, 1994) schwanken zwischen 1/3 (250 Mrd. DM) und 1/10 (50 Mrd. DM) der Gesamtkosten (PKW-Bereich).

  • Die diskutierten Kraftstoffpreise („5 DM/ l“) würden nicht einmal die Kosten der „Altschulden“ decken; damit wäre noch keinerlei Umweltschaden bezahlt.

  • Die zukünftige Verkehrsnachfrage ist nicht berechenbar, weil sie durch schwankende Subventionierung völlig willkürlich verschoben werden kann.

  • Wenn auch nur annährend die Kosten vom Verkehrsteilnehmer selbst getragen werden müßten, würde die Verkehrsnachfrage drastisch sinken. Der Aufschrei der „5 DM / l“ - Debatte zeigt, daß der Wunsch Auto zu fahren nur dann stark ist, wenn man die Kosten auf jemand Anderen abwälzen kann.

  • Ein Großteil der Überlastung von öffentlichen Haushalten, privaten Mietbudgets, Krankenkassen und anderen kollektiven Budgets ist auf die verdeckte Subventionierung von Verkehr zurückzuführen.

    Die Größenordnung des Problems macht deutlich, daß zwar Kostentransparenz Voraussetzung, Kostenzurechnung aber nur ein sehr langfristiges Ziel einer Verkehrsreform sein müßte, mit vielen höchst differenzierten Schritten. Insgesamt kann man dabei auf politisch erzwungenes Verkehrswachstum getrost verzichten: der Markt, noch dazu mit sozialen oder ökologischen Komponenten, verlangt eine Verringerung von Verkehren und Systemkomponenten - auch dann, wenn man (zu Recht) einen Großteil der Verkehrsproblematik aus dem allgemeinen Monetarisierungswahn ausklammert.
     

    Arbeitbeschaffungsprogramm Autosystem abbauen, Exportfaktor Autosystem zukunftsfähig machen

    Andere Rechnungen (z. B. Baum, 1997) schließen aus dem Bruttosozialprodukt des Verkehrs und/oder den Arbeitsplätzen im Verkehrsbereich auf einen sozialen Nutzen des Verkehrs. Dieser Nutzen ist unbestritten. Er kann aber nicht gegengerechnet werden, denn er bezeichnet den zusätzlichen Anteil des Verkehrs, der keinen privaten Nutzen hat. Der ist dann eben reine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (weil eben niemand außer dem Staat bereit ist, aus anderen Gründen Geld dafür zu bezahlen). Nun gibt es aber sicher sinnvollere und zukunftsweisendere Möglichkeiten für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen als ausgerechnet wildes Herumfahren, Öl verbrennen, oder Beton vergraben.

    Schön ist es natürlich, wenn andere unsere Verkehrstechnik kaufen. Diese Größenordnung (Exportwert - Importwert, s. Abbildung 1) sollte aber nicht überschätzt werden. In Zukunft werden außerdem auch nur „Reform“-Produkte Exportprodukte sein können. Und schließlich wäre das richtige (Verkehrs-) Maß im Inland auch das bessere Exportargument als das verordnete Übermaß: Ein Alkoholiker ist als Weinverkäufer denkbar schlecht geeignet.

    Kosten und Preise nach Siedlungsstruktur unterscheiden:
    ÖV zwischen Verdichtungspunkten konkurrenzlos günstig

    Je mehr Fahrgastpotential um die Haltestellen herum, umso effizienter ist der ÖV. Dagegen braucht der MIV billigen Platz zum Parken und Fahren - also die disperse suburbane Siedlung. Daraus resultiert eine Kostenstaffelung nach Abbildung 3.

     

    Abb.3: Verkehrskosten und -preise nach Siedlungsstruktur

    Verstöße dagegen - also zuviel ÖV in der Dispersion, zuviel MIV in der Verdichtung und am schlimmsten, zuviel Verkehr zwischen Dichte und Dispersion, führen zu noch höheren Kosten, noch stärkerer Kostenabwälzung, noch größeren Verlusten der Verlierer und Gewinnen der Gewinner, schließlich zur Zerstörung der kompakten Siedlungen einerseits und der Landschaft andererseits. Die Eigenart der Siedlungsstruktur muß daher in den Verkehrspreisen erkennbar werden.

    Kosten und Preise nach Geschwindigkeiten unterscheiden: Hochgeschwindigkeitssysteme prohibitiv teuer

    Technische Systeme haben optimale Einsatzbereiche: Ein Betonmischer hat beim Puddingrühren, eine Handbohrmaschine beim Tunnelbau den schlechtesten Wirkungsgrad - ökologisch und ökonomisch. Abseits des Bestbereiches wird der Betrieb extrem teuer. Das Überschall-Passagierflugzeug ist dieser Gesetzmäßigkeit zu Recht zum Opfer gefallen.

    Das Eisenbahnsystem scheint bis 200 km/h brauchbar zu sein. Das Autosystem schleppt bei allen Fahrzeugen, Straßen und Infrastrukturen den Ballast der Hochgeschwindigkeitsideologie mit sich; die Kosten eines Autos, eines Straßenstückes sind mindestens zu einem Drittel durch die extrem seltenen Fälle bedingt, die außerhalb des normalen Ballungsraumbetriebes (zwischen 20 km/h und 80 km/h, selten bei 120 km/h) liegen. Die Preispauschalierung verschleiert die Umwelt- und Kostenvorteile der angepaßten Geschwindigkeit; die Frage nach dem Tempolimit muß im Zusammenhang mit der dadurch möglichen extremen Verbilligung gestellt werden. Und das gilt für alle Verkehrssysteme.

     

    Abb.4: Verkehrskosten und -preise nach Geschwindigkeiten
     

    Verkehrberuhigungsklischees hinterfragen:
    Güter auf die Schiene? Das Kleinstauto? ÖV in der Dispersion ? Verkehrsbehinderung ?

    Bei einer Verkehrsreform nach ökonomischer und ökologischer Effizienz muß Einiges auf den Prüfstand. Z. B. beim Güter- und Schienenverkehr: Personen können umsteigen, Güter nicht; leere Autobahnen nützen nur den 250 km/h-PKW; Güterzüge sind das lauteste Schienenverkehrssegment. Z. B. das Ökoauto: Effiziente Autos sind groß (weil sicher und gut nutzbar), langsam und leicht. Wir aber lassen uns kleine, schnelle und schwere Autos als ökologisch verkaufen. Z.B. der „Stadtbus“, vertaktet an jede Waldrandsiedlung und jedes Einkaufscenter; fördern wir damit nicht nur noch höhere Verkehrssubventionen, sondern dazu noch eine rein MIV-affine Siedlungsstruktur? Z.B. Umwege, Strafsteuern, Verteilung durch Planerwillkür, orthodoxe Autolosigkeit; riecht nach Ideologie und gefährdet Glaubwürdigkeit und Akzeptanz. Ein materielles Gut wie Verkehr sollte technisch-ökonomisch rational diskutiert werden; seine Optimierung wird Verkehrsberuhigung als Ergebnis haben.
     

    Reformbeispiel Verkehrsplanung:
    Wirkungsgrad und Erreichbarkeit statt Nachfrage oder Vermeidung und Verlagerung

    Eifrig diskutiert die Verkehrsplanung, ob Verkehr planbar, induziert (wodurch ?) oder (aus dem bisherigen Verkehr ?) prognostizierbar sei; ob man ihn gar vermeiden oder verlagern könne und dürfe. Das hört sich recht unfreiheitlich an, auch wenn man sich von den Automatismen früherer Wachstumshochrechnungen löst und die zukünftige Verkehrsnachfrage zum Kriterium macht. Und die ist tatsächlich willkürlich - nämlich abhängig von der Willkür, die Verkehr entweder idealisiert und subventioniert oder verteufelt und strafbesteuert.

    Die Planung muß sich besinnen auf rationale, technisch-ökonomische Kriterien: größtmögliche Erreichbarkeiten, gemessen an Kosten und Schäden (s. hierzu Krug, 1998). Damit wird dann der Unterschiedlichkeit von Regionen, Städten und Landschaften gerecht. Damit erhalten städtebauliche und raumordnerische Ziele Vorrang. Und damit muß auch der Zwang zur Wachstumsplanung fallen, wie er sich zum Beispiel in Vorschriften zur standardisierten Bewertung findet.

    Reformbeispiel Konkurrenzfreier Autoverkehr:
    Tempo- und Beschleunigungslimits, Überholverbot, Halbierung von Schäden und Kosten

    Hochgeschwindigkeit, Beschleunigen und Überholen bringen fast keine individuellen Zeitvorteile. Dafür überteuern sie die Autosystemkosten um die Hälfte. Angesichts der überwältigenden Menge der Verkehrsleistung in vollen Ballungsräumen sollte der Autoverkehr durch elektronische Begrenzungen und entsprechende Vorschriften befriedet werden: Alle fahren sanft hintereinander her. Dies ermöglicht enorm verbesserte Umweltstandards und erschließt ein gewaltiges Verbesserungspotential - für den Restautoverkehr (wie groß auch immer) und nicht zuletzt für die Exportfähigkeit, die für das teure deutsche Dynamikauto ernsthaft gefährdet ist (s. v. Winning, 1989, 1997, S.70 ff).
     

    Reformbeispiel Straßenverkehr:
    Telematik für ÖV-Vorrang, Umwegfreiheit, städtebaulich integrierte Straßenstandards

    Neben einem Quasi-Moratorium für Straßenbau muß auch das Straßensystem deutlich verändert werden. Dazu gehören vielfache Verknüpfungen und Anschlüsse zwischen vorhandenen Netzteilen, auch wenn sie unterschiedlichen Verkehrsrang haben. Hochgeschwindigkeitsfahrbahnen werden (schmaler) ummarkiert zu Mengenfahrbahnen. Durch Telematik können privilegierte Fahrzeuge (Busse, Notdienst) als Pulkführer ohne Behinderung durch Ampeln gelotst werden. Auch der Stau wird an einzelnen, städtebaulich wenig schädlichen Strecken überholt, wenn er denn nicht vermeidbar ist (denn die Straßen sollten ja ausgelastet sein). Für eine "sanfte Autobahn" sei beispielhaft des neue Teilstück Bozen - Meran genannt: Höchste Mengenleistungsfähigkeit, häufige und kleinste Anschlüsse, minimale Störwirkungen. Für Haupt-, Sammel- und Wohnstraßen bietet der Katalog der städtebaulich orientierten Verkehrsberuhigung eine Fülle von Reformvorschlägen (s. z.B.v. Winning 1986, 1998).
     

    Reformbeispiel Kostenzurechnung Autoverkehr:
    Road-Pricing, Park-Pricing, Gefährdungshaftung, Subventionsabbau

    Die komplexen Kriterien der Zurechnung sollten Straßenverbrauch, Parkplatzverbrauch, Energie-, Rohstoff-, Bio- und Flächenverbrauch widerspiegeln. Damit eignet sich für R+P-Pricing am besten ein satellitengestütztes Elektroniksystem. Durch Debit-Abbuchungen läßt sich das entscheidende Gegenargument, nämlich der Datenschutz, ausräumen. Die Personenschäden aus Unfällen sollten vollständig aus der Fahrzeug-Haftpflichtversicherung erstattet werden - denn anders als bei Rauchern oder Drachenfliegern geht die Gefährdung nicht vom Fahrer, sondern vom System bzw. Fahrzeug aus, wie bei Baustellen oder Betrieben. Schließlich sollte neben den „großen Paketen“ Straße + Parkplatz auch die vielen kleinen Subventionen verschwinden: die steuerliche Absetzbarkeit von Garagen, von Arbeitswegen, von Repräsentationsautos und viele andere mehr. Falsch wären weitere fahrleistungs-, geschwindigkeits- und siedlungsstrukturell undifferenzierte Preise; hilfreich wäre ein Zwang zu betriebswirtschaftlich sauberen Abrechnungen in den Haushalten, denn diese würden die gewaltigen öffentlichen Subventionen immer wieder transparent machen als das was sie sind, nämlich Verluste.
     

    Reformbeispiel Luftverkehr:
    Anrechnung aller Flugplatz- und Flugzeugkosten; hohe Luftverschmutzungsabgabe

    Marktadäquate Abschreibungen und Zinsen für Flughäfen und Flugzeuge würden Starts und Landungen nennenswert, Distanzen etwas verteuern. Jedenfalls wäre das heilsame Ergebnis eine Nachfrage nach weniger Kurzstrecken, nach weniger, aber größeren Flugzeugen und deutlich weniger Flughäfen. Die größten Probleme beim Luftverkehr ergeben sich aus dem CO²-Ausstoß: Die verdreifachte Schadwirkung in der betroffenen Atmosphärenschicht führt zu hoher Bewertungsproblematik und international sehr schwierigem, umstrittenem Regelungsbedarf.
     

    Reformbeispiel Öffentlicher Verkehr: Vertaktung, Vernetzung, städtebauliche Integration und städtebauliche Angebotsdifferenzierung

    Grundlage des ÖV ist ein räumlich und zeitlich nicht unterbrochenes Angebot. Statt sternförmiger Netzhierarchien scheinen gitterförmige Netze mit sehr langen Linien zweckmäßiger. Wichtiger als die Trennung von Nah- und Fernverkehren scheint eine Unterscheidung zwischen einerseits Komfortangebot (Verknüpfung urbaner Haltestellen mit höchstem Angebot und Nachfrage) und andererseits Basisangebot (Verknüpfung suburbaner Haltestellen). Bus, Bahn und Paratransit übernehmen die jeweils angemessenen Segmente. Ein besonderer Beitrag der Bahnreform könnte sein, die stationsnahen Bahnimmobilien zur Fahrgastproduktion und das Zugangebot zur Immobilienaufwertung in die Pflicht zu nehmen - auch bei den 5000 kleinen Bahnhöfen in der BRD. Ein weiteres Reformfeld schließlich liegt in der städtebaulichen Integration des verkehrs-technischen Details: vom Signalmast der Straßenbahn bis zur Corporate Identity der DB am Bahnsteig: Hier ist lokale Identität, städtebauliche Gestaltung und Einbindung in die städtische Öffentlichkeit allemal richtiger.
     

    Reformbeispiel Transrapid:
    Statt Hochgeschwindigkeitsideologie angepaßte Magnet-Schwebe-S-Bahn-Versuchsstrecke

    Eine Technik, die das Rad ersetzen soll, muß Kosten, Rückschläge und Versuche wert sein. Aber da, wo ihre eigentlichen Systemvorteile wirksam werden: Auf kurzer Strecke (weil teurer Fahrweg), mit höchsten Zugfolgen (weil billige Fahrzeuge), mit kurzen Haltestellenabständen (weil gute Beschleunigung und Verzögerung), im (Mittel-) Gebirge (weil gut bei Steigung und Gefälle) und mitten durch den Ballungsraum mit 80 km/h (weil dabei völlig geräuschlos). Nur wenn sie ihre Vorteile ausspielen können, haben Linearmotor und (eventuelles) Schweben eine Chance auf Funktions- und Exportfähigkeit. Was eine 400 km/h-Strecke dazu beitragen soll, bleibt unerfindlich (siehe auch v. Winning, 1997, 76 ff.).
     

    Reformbeispiel Verkehrsverwaltung:
    Verantwortung dezentralisieren, Netze gemeinwirtschaftlich und nicht hoheitlich betreiben

    Die Hoheit über Autobahnen, Bundesstraßen und Nicht-Hochgeschwindigkeitsschienenstrecken sollte auf die Länder übergehen. Alle Innerortsteile würden kommunal. Entsprechend würde die Zuständigkeit für den StVO-Vollzug, die baulichen Standards und die Zuordnung der Straßen- und Autobahnbauämter geändert. Entsprechend solllte auch die DEGES ihre Aufgaben an die Gebietskörperschaften zurückgeben - jedenfalls mit den Bindungen, die diese einlösen können oder sollen. Ohne besondere Fachaufsicht würde ein Bundesamt (ggf. eine europäische Behörde) nur die wichtigsten technischen Standardisierungen festlegen, und zwar ohne die verkehrspolitischen Privatmeinungen, die einen Großteil der heutigen Normen ausmachen. Netze (Straßen, Schienen, Wasserstraßen, auch Flughäfen und Bahnhöfe) sollten als Gebietsmonopole nicht privatisiert werden, aber auch nicht hoheitlich kameralistisch als "Daseinsvorsorge" betrieben werden. Es empfehlen sich gemeinwirtschaftliche Unternehmen mit öffentlicher Bilanzierung und Rechnungslegung. Zur Abfederung lokaler oder regionaler Konkurrenzen empfehlen sich als Träger für die Gebührenerhebung eher die Länder oder Zweckverbände.
     

    Reformbeispiel Verkehrsforschung und Technikstandards: Unabhängigkeit, Vielfalt und Konkurrenz fördern.

    Die europäischen Regierungen geben sehr viel Geld für Verkehrsforschung aus. Die Verkehrsressorts sind aber seit Jahrzehnten engst mit der Verkehrsindustrie verzahnt. Entsprechend monopolisiert sind die Ergebnisse: Restaurativ und innovationslos predigen sie nur das, was die Vorgabe "schneller", und "mehr" einhält - etwa in der Reihenfolge Wachstum von Ölverbrauch, Autos, Schienensysteme, Verkehrsbau. Ökologie- und Effizienzfragen werden ausgeklammert, höchstens gelegentlich verbal aufgenommen, meist vernebelt. In gleicher Weise wird die Umsetzung der Forschung durch technische Richtlinien erzwungen. Hochschulen und "freie" Institute erliegen der Verführung gleichgeschalteter Drittmittel.

    Vielfalt und Unabhängigkeit könnten verbessert werden, wenn die Regierungen zwei Drittel der Forschungs- (und Veröffentlichungs-!) Mittel auf andere Ressorts verlegen würden: Inneres und Justiz (Rechtsrahmen im Verkehrswesen), Europa (Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen durch Verkehrssubventionen), Städtebau (Reurbanisierung durch kosten- und flächensparende Verkehrsplanung), Finanzen (Kostendämpfung im Verkehrswesen), Soziales (Enlastung weniger mobiler Bevölkerungsteile von Verkehrskosten), Wirtschaft (Beschäftigungseffekte durch Marktwirtschaft im Verkehrswesen), Umwelt (Monetäre Zurechnung von Verkehrsfolgen).

    Aus dieser Vielfalt kann auch der "Stand der Technik" zukunftsfähige Breite bekommen; wahrscheinlich wären nationale Koordinierungs- und Kartellaufsichtsstellen sinnvoll, die die Unabhängigkeit sichern sollten und entweder kommunalen Spitzenverbänden oder (ähnlich den Enquete-Kommisionen) direkt den Parlamenten zugeordnet sein sollten.

    Individuell geht es in Verkehr und Mobilität um Einstellungen und Lebensstile (s. Holzapfel, 1997). Diese haben aber einen gesellschaftlichen, institutionellen Rahmen. Die skizzierten Anregungen (und viele weitere) erfordern zahllose kleine Änderungen von Gesetzen und Verordnungen (s. z.B. v. Winning, 1997, 90 ff. oder Apel, 1995). Manche werden nur eine kleine Zahl Eingeweihter interessieren, wie z.B. kommunale Hoheit beim StVO-Vollzug. Manche - wie etwa allgemeines Überholverbot (besser: das allgemeine Verbot, überholt zu werden!) haben erhebliche politische Brisanz. Schlüssel zur Akzeptanz scheint die Transparenz der Kosten, die Offenlegung verdeckter Förderungen, die Erkennbarkeit von Verlusten, Zinsen, Altschulden von Verkehr in den öffentlichen Haushalten und die Verdeutlichung von Gewinnern und Verlierern. Ähnlich wie die Sozial- und Wirtschaftsverfassungen reformiert werden müssen, brauchen wir eine Verkehrsreform. Wenn sie rationalen Kriterien folgt, wird sie nicht nur ein gewaltiger Kostendämpfer, Innovations- und Beschäftigungssmotor sein, sondern auch Zeit und Geschwindigkeit in eine neue kulturelle Beziehung setzen.

    Literatur

  • Apel, Dieter/Henckel, Dietrich u.a., 1995: Flächen sparen, Verkehr reduzieren. Möglichkeiten zur Steuerung der Siedlungs- und Verkehrsentwicklung. Berlin

  • Baum, Herbert, 1998: Volkswirtschaftliche Nutzen und Kosten des Verkehrs (= Schriftenreihe Forschungsarbeiten aus dem Straßen- und Verkehrswesen. Heft 108), Köln

  • Frey, Rene L., 1994: Ökonomie der städtischen Mobilität. Durch Kostenwahrheit zur nachhaltigen Entwicklung des Agglomarationsverkehrs. Zürich

  • Holzapfel, Helmut, 1997: Autonomie statt Auto. Zum Verhältnis von Lebensstil, Umwelt und Ökonomie am Beispiel des Verkehrs. Bonn

  • Krug, Henning, 1998: Raumstrukturelle Ausprägungen einer Verkehrsreform In: Geographische Rundschau, Jg. 50 (1998), Heft 10, S. 575-579

  • v. Winning, Hans-Henning, 1997: Nachhaltigkeit und Effizienz - Aktuelle Beiträge zur Verkehrsplanung. Kassel (=Universität Gesamthochschule Kassel (Hrsg.):

  • Arbeitsberichte des Fachbereichs Stadtplanung/Landschaftsplanung; Heft 115;

  • v. Winning, Hans-Henning, 1998: Straßen-Verkehrserschließung von (Neu-) Baugebieten. In: Apel, D. u.a. (Hrsg.): Handbuch der kommunalen Verkehrsplanung. Bonn

  • v. Winning, Hans-Henning, 1989: City-Paket und Geschwindigkeitsschalter. Dortmund, (= ILS-Schriften, Heft 35)